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Das Jenisch-Haus in Othmarschen wird durch den Film „Anhedonia“ zum Hot Spot für Hamburger DandysFrisur? Sitzt!

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Über der Tür des Jenisch-Hauses hängt ein Banner: ein schwarzes „S“ in einem weißen Kreis, gestaltet wie die Flagge eines faschistischen Staates. Sieben Männer nähern sich im Gänsemarsch. Vorneweg läuft ein Trommler in Kaiserreich-Uniform, es folgen vier barfüßige Männer in Sklaven-Kitteln und tragen zwei Sänften. Auf der ersten sitzt ein geschniegelter, etwa 30-jähriger Typ mit Sonnenschirm und einem Anzug aus der Zeit um 1920. Auf der zweiten ein gleich alter Herr, ebenfalls gut frisiert und antiquiert gekleidet. Er ist beschäftigt mit einem Tablet-Computer.

Der Blonde ist Robert Stadlober, seit „Sonnenallee“ ein angesagter Schauspieler im deutschen Film. Der andere ist der Schauspieler Wieland Schönfelder, nicht ganz so bekannt wie Stadlober, aber ebenso talentiert.

Um die sieben Männer herum steht ein Filmteam mit Kamera und Ton, das Jenisch-Haus samt Park ist zur Location geworden, was die Jenisch-Haus-Leute sehr freut, weil das Aufmerksamkeit bringt. Gedreht wird gerade die Eingangsszene des Films „Anhedonia – Narzissmus als Narkose“.

Dann kommen die Fragen. Was soll das für eine Welt sein, mit Sänften, Sklaven und Tablet-Computer? Warum verfügt das Filmteam nicht über Scheinwerfer? Ist das ein professioneller Dreh oder handelt es sich um Filmstudenten bei der Arbeit? Von außen betrachtet lässt sich das nicht so leicht sagen. Das Ganze wirkt wie eine anspielungsreich verblasene Blödelei.

Patrick Siegfried Zimmer, den Musikinteressierte als Finn kennen, hat sich diesen Film ausgedacht. Es geht darin um zwei junge Männer, die eine Insel namens „Seelenfrieden“ aufsuchen, um von ihrer Unfähigkeit zu Genießen geheilt zu werden. Sie durchlaufen das Programm des Doktors Immanuel Young, den Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow spricht.

Die Dialoge sind eine wilde Mischung aus Aphorismen, philosophischen Zitaten, Fäkalsprache und Biedermeier-Geschwurbel. Die Handlung ist hanebüchen. In der Ausstattung passt absichtlich nichts zusammen. In der Inszenierung wechseln sich hohe Kunstfertigkeit und Trash ab. Die Schauspieler, darunter auch Blixa Bargeld, sind großartig.

Letzterer ist zur Premiere des Films im Abaton nicht erschienen, aber Stadlober. Der Film ist vorbei, die Crew steht vor den Zuschauern. Niemand meldet sich. Stadlober redet euphorisch drauf los: Mit nur 16.000 Euro hätten sie 80 Minuten Film produziert und, hey, die 16.000, die hätten sie ja allein schon für stimmungsaufhellende Substanzen gebraucht.

Nach diesem Film sieht man das Jenisch-Haus anders. Der klassizistische Kubus mit seinen zierlichen Geländern oberhalb des Dachsims hat Potential zum Spirituellen: ein Hot Spot für esoterische Dandy-Wichtigtuer.

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