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Das Glück auf Besuch

Trotz Einsamkeit in Zweizimmerwohnungen und übel funktionalen Bezeichnungen wie „temporäre Lebensabschnittsgemeinschaft“: Das Heimatmuseum Neukölln zeigt eine Ausstellung über die Liebe

von KIRSTEN KÜPPERS

Neukölln geht wieder mutig voran. Ein Schritt raus aus der Kältezone, so müssen es sich die Männer und Frauen vom Heimatmuseum des Bezirks gedacht haben. Eine Ausstellung über die Liebe haben sie aufgebaut in den Räumen ihres kleinen Museums. Ein kühner Akt der Entschlossenheit in diesen Zeiten. Wo die Zustände, durch die man sich draußen bewegt, doch nicht besser werden: Wo die Beziehungslosigkeit der Stadt ihre Bewohner auffrisst; wo Einsamkeit in Zweizimmerwohnungen verschwindet; wo Gefühle in Begriffe wie „temporäre Lebensabschnittsgemeinschaft“ gesperrt werden; da, wo Liebe nur noch in Titeln schlechter Fernsehserien vorkommt; wo Romantik gleichgesetzt wird mit Naivität; wo ein Mensch dem anderen nicht reicht; da, wo Freiheit mit Zähnen verteidigt wird. Hinein in diesen Missstände also pflanzen die Männer und Frauen vom Heimatmuseum ihr Projekt „Romeo und Julia in Neukölln“, ein Unterfangen, das nicht anders als tapfer zu beschreiben ist.

Das Konzept der Ausstellung ist so einfach wie überzeugend: Neuköllner erzählen ihre Liebesgeschichte. 20 Paare stellen sich vor, zeigen, wie die Liebe das Leben bewegt; dass schönes Gefühl in diesem Bezirk bisweilen noch zu funktionieren scheint. Zum Beispiel Gudrun und Eberhard. Sie haben sich in einem Kurs für Shiatsu-Massage getroffen. Eberhard trug damals ein gehäkeltes Käppchen auf dem Kopf und half Gudrun mit einem Fahrradschloss, das klemmte. Inzwischen können die beiden Fotos von Familienfeiern ins Heimatmuseum Neukölln hängen, über Kopfhörer läuft ihre Lieblingsmusik, die C-Dur Klaviersonate von Joseph Haydn, ein angenehmes Stück Beruhigung in einer Welt, wo den Menschen zunehmende Anspannung und Bindungslosigkeit nachgesagt wird.

Auch die anderen verliebten Neuköllner lernt der Besucher über Bilder, Anekdoten und Erinnerungsstücke im Museum kennen. Die Rentner Ilse und Fritz hören nach der Gartenarbeit gemeinsam „Strangers in the Night“. Silvia war 15, als sie Heinz bei der Akrobatengruppe Hertha Romanos traf. Als Marion ausgelassen auf einer Bowlingbahn tanzte, funkte es auch bei Karsten. Der neue Kollege war Hans-Dieter sofort aufgefallen. Sechs Jahre später liefen sie sich bei Hertie wieder über den Weg. Beyzade fuhr in den Türkei-Urlaub und kam als Ehefrau zurück, das hätte sie sich nie träumen lassen, jetzt will sie Zwillinge. Bemerkenswert hoffnungsvolle Geschichten sind das. Momentaufnahmen der Zuversicht – jetzt, wo der Sommer kommt. Man fragt sich, ob in Neukölln das Glück die Menschen öfter besucht als anderswo.

Die Untiefen bleiben in der Ausstellung seltsam unterbeleuchtet. Allenfalls erfährt man, dass einer nicht wiedergekommen ist. Von dem Paar, das sich an verregneten Nachmittagen Marcel Proust vorlas, heißt es schlicht, die beiden seien 1974 in eine Fabriketage gezogen, da „begann sich die Einzelle langsam zu teilen“. Das Dunkle bleibt als diffuse Ahnung zurück, Verlassenheit ist nur das Ende von etwas, ein melancholischer Satz von Roland Barthes an einer Wand. Stattdessen küssen sich auf einem Bildschirm immerzu weitere Menschen: Liebesfilme wie „La dolce vita“, „Verdammt in alle Ewigkeit“ und „Cinema Paradiso“ als Endlosschleife.

Wenigstens werden die Unzulänglichkeiten der Teenagerliebe nicht ausgespart. Auch in Neukölln plagen sich Jugendliche mit Zetteln ab, auf denen steht: „Liebst Du mich? Bitte ankreuzen!“ Freilich gibt es Ausnahmen, das dokumentiert die Ausstellung auch. Riesige Bekenntnisse. Ein türkisches Mädchen schreibt: „Als ich Dich zum ersten Mal sah, spielte mein Herz verrückt, Du bist der Schönste auf der Schule und ziehst Dich voll schön an. Du bist voll cool. Ich will mit Dir gehen. Du bist voll schön. Ich liebe Dich über alles.“

Draußen vor dem Eingang zur Ausstellung haben die Neuköllner noch einen hübsch verträumten Liebesgarten angelegt. Vom Schlosspark Sansoucci haben sie sich eine Venus-Statue ausgeliehen, Vergissmeinnicht und Männertreu darum herumgepflanzt.

Wer von seinem Liebsten träumen will, soll sich Schafgarbe auf die Augen legen, sagt die Presseinformation. Besucher, die sich unter einen Lautsprecher stellen, hören Liebesgedichte aus alter Zeit: ein Murmeln sumerischer und althebräischer Poesie. Man könnte diesen Ort als Naherholungsgebiet verkaufen. Gegen die Mühsal der Zeit setzen die Neuköllner das Leuchten ihrer Blumenrabatten.

„Romeo und Julia in Neukölln. Eine Ausstellung über die Liebe“. Bis April 2003, Heimatmuseum Neukölln, Ganghoferstraße 3

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