dvdesk: Das Glas droht ständig zu zerspringen
Von Anfang an hat sich der Film in Bewegung gesetzt, nämlich per Zug. Draußen Berge, drinnen ein Mann, Thomas (Helmut Berger), der Undurchsichtiges tut, und eine Frau, Elizabeth (Glenda Jackson), der erste Blick der Kamera fällt auf ihre bestiefelten Beine, die sie auf den Sitz gelegt hat, dann wandert er nach oben, wo er bei ihrem Bubikopf landet. Sie und der Zug und der Film sind auf dem Weg ins noble Baden-Baden, sie auf der Flucht vor einer erstickenden Ehe, er als Drogenkurier. Sie begegnen einander in Baden-Baden, im Aufzug, er gibt sich aus als Dichter, was er nicht ist, aber es steht so im Pass.
Das ist das Vorspiel. Am anderen Ort, zu Hause in England, sitzt, mit Au-pair und Kleinkind, Elizabeth’Mann Lewis (Michael Caine), der tatsächlich Schriftsteller ist, Romancier. Elizabeth kehrt von ihrer Flucht, sie war kurz, zurück zu Haus, Mann und Kind. Alles ist nobel, die Romane von Lewis verkaufen sich gut, man bekommt sie an Bahnhofskiosken. Lewis wird von Eifersuchtsfantasien geplagt (der Film plagt uns mit: wieder und wieder, die Szenen sind stumm: Thomas und Elizabeth im Baden-Badener Lift). Er verfällt auf die Idee, den falschen Dichter in sein Haus einzuladen. Um seine Frau zu quälen, sich für ein Buch anzuregen, es mischen sich untrennbar masochistische und sadistische Motive.
Man sieht gut, warum der zugrundeliegende Roman als geeigneter Stoff für Joseph Losey erschien. Verfasst hat ihn der Brite Thomas Wiseman, 1931 geboren als Alphons Weissmann, als Jude von seinen Eltern nach London gerettet, der Vater wurde in Buchenwald ermordet. Bevor er als Romancier reüssierte, hatte Wiseman als Filmkritiker gearbeitet, so kritisch, dass die Verleihe ihn aus ihren Pressevorführungen verbannten. Das Drehbuch zu diesem Film hat er gemeinsam mit dem Dramatiker Tom Stoppard verfasst, seinerseits ein als Kind vor den Nazis geflohener Jude (geboren als Tomáš Straussler im tschechischen Zlín).
Und auch Regisseur Joseph Losey war im Exil, als er den Film Mitte der Siebziger drehte, schon seit Jahrzehnten. 1909 in Wisconsin geboren, erste Erfolge als Theaterregisseur, er hatte 1935 ein Seminar von Sergei Eisenstein in Moskau besucht und wurde als bekennender Linker und wegen seiner Arbeit mit Bertolt Brecht und Hanns Eisler im totalitären McCarthy-Klima auf die Blacklist gesetzt.
Er verließ die USA, kehrte nie dauerhaft zurück und wurde zum höchst erfolgreichen, verlässlich nach Venedig und Cannes eingeladenen Regisseur, der sich gerne auch auf Genrearbeiten einließ. Berühmt aber wurde er für sehr literarische, bis ins Manierierte formbewusste, oft glänzend besetzte Kunstfilme, es sind ein paar Meisterwerke darunter, etwa „The Servant“ und „Accident“ (nach Drehbüchern des nachmaligen Nobelpreisträgers Harold Pinter).
In diese Reihe fügt sich das spröde Liebes-Psycho-Drama „Die romantische Engländerin“ durchaus. Häuser, Wohnungen sind bei Losey, gerade wenn er sich auf sie, wie hier, konzentriert, fast stets Orte der Unbehaustheit: Etwas Unheimliches dringt ein, so begehrt wie gefürchtet, ein hinterhältiger Diener, oder hier ein kriminell attraktiver Fake-Poet-Parasit. Spiegel werden wieder und wieder gezeigt, aber paradox: Sie rahmen die Szenerie, die Figureninteraktion, aber sie halten nichts fest. Jeden Moment droht das Glas zu zerspringen.
Das ist auch in diesem Film die vordringliche Stimmung. Baden-Baden und Krimimomente (in Gestalt vor allem des großartigen Michael Lonsdale) penetrieren das Ehedrama. In der Theorie ist das alles super, in der Praxis lahmt es ein wenig. Aber dann bleiben immer noch die grandiosen Glenda Jackson, Helmut Berger und Michael Caine, denen man auch beim Aufsagen von Telefonbüchern begeistert zusehen würde.Ekkehard Knörer
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