Das Ende von Quelle: Alle Personen sind bearbeitet
"Irgendwer muss den Scheiß ja verkaufen": 2.000 Quelle-Mitarbeiter sind seit Montag ohne Arbeit. Die anderen müssen nun noch die Restposten verhökern.
NÜRNBERG/BERLIN taz | Die Lamellenvorhänge sind zugezogen, die Lüftung surrt, vorne am Tisch sitzen die Damen und Herren von der Arbeitsagentur. Sie machen einen zufriedenen Eindruck. Sie sind ein bisschen stolz. Und genau das wollen sie jetzt die Presse wissen lassen. Rainer Bomba, Chef der bayerischen Arbeitsagenturen, ergreift das Wort. "Wir haben 3.550 Personen bearbeiten können", sagt er. "Die Arbeitslosengeldzahlung ist gewährleistet."
Noch am selben Tag werden die 150 Arbeitsvermittler den dritten Stock des Quelle-Versandzentrums am Stadtrand von Nürnberg wieder räumen. Sie haben eine Woche in dem Klinkerbau gesessen und Arbeitslosenmeldungen entgegengenommen, eine Viertelstunde Zeit gab es für jeden Mitarbeiter, manchmal auch ein paar Minuten mehr. Jetzt zieht der Staat wieder ab. Die Quelle-Mitarbeiter sind bearbeitet. Das provisorische Arbeitsamt ist seit Freitagabend geschlossen.
Es klingt nach einem geordneten Ende. Doch so unwürdig wie Quelle ist wohl noch nie ein Unternehmen untergegangen. 1.900 Mitarbeiter haben erst am Freitag per Telefon erfahren, dass sie schon am Montag nicht mehr zur Arbeit zu kommen brauchen, eine von vielen Pannen, die sich der Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg in den vergangenen Wochen geleistet hat. Der Betriebsratschef nennt ihn nur den "IV". Es klingt wie eine tödliche Krankheit.
Am Sonntag seien 61.700 Bestellungen eingegangen, sagte ein Sprecher der Quelle-Insolvenzverwaltung am Montag. Damit sei der bisherige Tagesrekord von 45.900 Orders im Weihnachtsgeschäft 2008 übertroffen worden. "Das ist mehr, als zu erwarten war", ergänzte er.
Die meisten Bestellungen seien in der letzten Stunde bis Mitternacht eingegangen. Mit der Räumung der Lager läutete die Insolvenzverwaltung am frühen Sonntagmorgen die Endphase in der 82-jährigen Geschichte des einstmals größten europäischen Versandhändlers ein. Kunden können über das Internet 18 Millionen preisreduzierte Artikel ordern. Geplant sei der Ausverkauf für vier bis sechs Wochen, sagte der Sprecher. Die Auslieferung solle bis Weihnachten erfolgen. (rtr)
Rund 4.300 Mitarbeiter der Primondo-Gruppe dürfen noch ein paar Wochen weiterarbeiten, vielleicht bis Weihnachten, vielleicht auch noch ein paar Wochen länger. Aber "dürfen" ist wahrscheinlich das falsche Wort. Denn Freude werden die letzten Quelle-Mitarbeiter in Nürnberg und Fürth, in den Callcentern in Berlin, Cottbus und Magdeburg und im Zentrallager in Leipzig wenig haben. Sie müssen in kürzester Zeit die letzten 18 Millionen Produkte verramschen. Am Sonntag hat der größte Ausverkauf der deutschen Geschichte begonnen, mit Rabatten von bis zu 30 Prozent. Alles muss raus: von A wie Akkuschrauber bis Z wie Zitruspresse. Die Internetseite ist unter dem Ansturm gleich mehrfach zusammengebrochen.
Einer, der nun den Schlussverkauf mitorganisieren soll, ist Siegfried Gösswein, 42, seit 17 Jahren bei Quelle. Er trägt Jeans, Karohemd, gerade kommt er aus dem Personaleingang im Nürnberger Versandzentrum heraus. Dort drinnen steht ein Spruch der Firmenpatriarchin Grete Schickedanz an der Wand: "Der Pfennig ist die Seele der Milliarde." Nun sind die Milliarden futsch, und von so etwas wie einer Seele spricht bei Quelle schon lange keiner mehr.
Gösswein ist Bereichsleiter für Logistik, Produktionsplanung und Prozesssteuerung. Am Abend vorher hat ihn seine Frau gefragt, wann er denn nun arbeitslos wird. Da ist er zusammengezuckt, weil ihm klar wurde, dass es wohl wirklich bald so weit sein wird. Wann genau, weiß Gösswein aber immer noch nicht, das Feld mit dem Beginn der Arbeitslosigkeit haben die von der Agentur bei ihm noch frei gelassen.
Doch wie kann man weitermachen, wenn man täglich Mitarbeiter verabschiedet, mit denen man jahrelang zusammengearbeitet hat? Und man sich auf einmal um 100 Leute statt um 40 kümmern muss, weil eine Abteilungsleiterin auch schon gehen musste? Wenn man für sich selbst schauen muss, wie es weitergeht, weil die Arbeitsagentur Führungskräften nur den Tipp geben kann, doch mal ins Internet zu schauen oder auf einen Headhunter zu hoffen?
Gösswein sagt: "Wir hängen alle mit Herzblut an der Quelle." Er hat dabei Tränen in den Augen. Er sagt aber auch, dass er sich bescheuert fühlt, nun noch einige Wochen weiterschuften zu müssen, nur damit die Gläubiger so viel Geld wie möglich bekommen. "Masse machen", wie Gösswein sagt. Insolvenzmasse. Geld, auf das auch der Staat hofft. Der hatte dem Versandhaus vor einigen Monaten noch 50 Millionen Euro Kredit für den Herbstkatalog bewilligt, im Frühsommer hielt ihn der bayerische Ministerpräsident Seehofer stolz in die Kameras: "Tausend Wünsche - eine Quelle."
Wer ein anderes Bild für den würdelosen Niedergang eines stolzen Unternehmens sucht, muss ins Quelle-Kaufhaus gehen, das an der Fürther Straße in Nürnberg liegt. Dort läuft der Ausverkauf schon seit ein paar Tagen. Dort ist die Leiche schon ziemlich zerfleddert.
Im Erdgeschoss werden Toilettenmatten neben Espressotassen angeboten und lange Unterhosen neben Trenchcoats. Hinten gibt es Christbaumkugeln, ein paar Meter weiter Deko-Osterhasen. Auf dem Boden liegen Kartons und Plastikfolie, daneben eine Spielzeugpuppe, der ein Bein fehlt. Leere Regale und Vitrinen werden mit rot-weißem Baustellenband abgesperrt. Schilder mit der Aufschrift "Schnäppchen" und "Reduziert" baumeln von der Decke.
Ein Verkäufer mit blauem Hemd und Krawatte, um die 50, schraubt gerade ein Badeschränkchen zusammen. Kaum hat er es aufgestellt, schnappt es sich ein Kunde. Macht das noch Spaß? "Was für eine blöde Frage. Aber irgendwer muss den Scheiß ja verkaufen." Zwei Kunden an der Kasse streiten sich, wer zuerst dran war. "Schlimmer als bei Rudis Resterampe", sagt eine Frau. "Irre", eine andere. Der Pressesprecher von Quelle findet das alles einfach nur noch "widerlich".
So endet eine 82 Jahre lange Firmengeschichte.
Draußen vor dem Kaufhaus haben Kirchenleute einen Bauwagen aufgebaut. Davor steht ein Holzkreuz mit der Aufschrift "Quelle" und "Warum?". An der Seite des Wagens klebt ein Zeitungszitat des einstigen Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg von Juni: "Insolvenz ist nicht das Ende." Für Quelle war sie es dann doch.
Jürgen Engelhardt, 54, ein Mann mit Schnauzer und getönter Brille, stellt sich ans Mikrofon vor dem Bauwagen. Es ist bitterkalt. Atemwölkchenwetter. 21 Jahre lang war Engelhardt Marktforscher bei Quelle. Nun spricht er von der Wut auf die Manager, die Politiker, die Unternehmensberater, all diese Typen mit ihren ganzen PowerPoint-Charts. Wenn er es sagt, in tiefem Fränkisch, klingt es wie "Bauer-Boind-Schards". "Diese Woche war grausam", sagt Engelhardt. "Die Ängste fressen mich schier auf."
Dann sagt dieser Engelhardt aber auch noch etwas anderes. Er spricht von Erleichterung. Darüber, nach Monaten des Hin und Her jetzt wenigstens zu wissen, was Sache ist. Vielleicht ist das ein bisschen so, wie wenn man jahrelang vom Partner betrogen wird und es insgeheim schon weiß. Dann ist es zwar immer noch hässlich, wenn die Beziehung in die Brüche geht. Aber es herrscht wenigstens Klarheit.
Nun ist zwischen Quelle und Engelhardt endgültig Schluss. "Aus. Geschichte. Ende." Der offizielle Scheidungstermin: Der 31. Januar. Das ist das Datum auf seiner Kündigung. Zu Hause bleiben soll er aber schon ab dieser Woche, Freitag um 11 Uhr hat er es erfahren. Es ist eine ganz hässliche Trennung.
Nach Weihnachten wird Quelle voll abgewickelt werden. Im Februar wird dann die Arbeitslosenquote in Nürnberg und Fürth auf 12 Prozent ansteigen, wegen Quelle, aber auch wegen der ganzen Zulieferer. "Nürnberg wird die erste Stadt in Bayern sein, die zweistellig laufen wird", sagt Bomba von der Agentur für Arbeit. Seine Mitarbeiter werden dann in die nächste Bearbeitungsstufe übergehen. 5 Millionen Euro sind für die Qualifizierung von 3.500 ehemaligen Quelle-Beschäftigten in der Region vorgesehen.
Auch für die Mitarbeiter in den Callcentern in Berlin, Magdeburg und Cottbus wird es spätestens nach Weihnachten eng. Im Zentrallager in Leipzig fahren sie jetzt noch mal Sonderschichten. Grete Schickedanz hat es 1991 selbst eingeweiht. "Wenn die Ostdeutschen unsere Waren bestellen sollen, müssen sie auch Arbeit haben", soll sie gesagt haben. Wenn nun die letzten Waren aus dem Lager geräumt sind, ist auch die Arbeit fort.
Die Schockwellen der Quelle-Pleite ziehen sich durch das ganze Land.
450 Kilometer nördlich von Nürnberg in Malchow am östlichen Rand von Berlin. "Ick bin noch da", ruft Uwe Kobilke, 54, ins Telefon. An der Wand hängt eine Quelle-Urkunde mit fünf goldenen Sternen, für "ausgezeichnete Leistungen". Kobilke ist ein kompakter Mann mit Karohemd. Er war hier im Einkaufszentrum "RIZ" immer nur der "Quelle-Mann", 1996 hat er sich selbstständig gemacht. Wenn jemand bei ihm eine Waschmaschine kaufte, hat er sie auch um 23 Uhr noch in die Plattenbauten geliefert. 10 Prozent Provision hat er dafür von Quelle bekommen. Und von den Kunden ein paar Buletten und Gürkchen.
Davon konnte er nie reich werden, weshalb seine Lebensgefährtin Petra Staps in dem 30 Quadratmeter großen Shop eine kleine Schneiderei eingerichtet hat. Vorne in der Ecke stehen Bügelbrett und Nähmaschine.
Beim Quelle-Shop in Malchow lief das so: Die Kunden bringen ihre Hosen zum Umnähen und bestellen noch was aus dem Katalog. Manchmal wollen sie aber auch einfach nur Quatschen. Oder sich über ihre Krebserkrankung ausweinen. Oder einfach nur jemanden anpampen, weil bei der Möbellieferung eine Schraube fehlte.
Im Fenster hängt noch der blaue Aufkleber von Quelle, aber die Neonreklame hat Kobilke schon letzte Woche abgeschraubt. "Dat is, wie wenn du jemanden zu Grabe trägst". Kobilke hat noch ein paar Produkte im Regal stehen. Einen Edelstahllangschlitztoaster der Quelle-Marke Privileg. Oder ein Handgelenkblutdruckmessgerät. Auch den 1.347 Seiten dicken Quelle-Katalog hat Kobilke noch da liegen, neben der Kasse stapelt sich ein Packen Bestellzettel. Aber ob überhaupt noch Ware kommt, ist unklar. Die Shops waren schon immer das letzte Glied in der Kette, selbstständig, auf eigenes Risiko. "Wir verkaufen jetzt voll runter, und dann is Feierabend", sagt Kobilke.
Wenn in einigen Wochen alles vorbei ist, wird er hier im Einkaufszentrum nicht mehr der Quelle-Mann sein. Wenn es gut läuft, wird er der Otto-Mann werden. Oder der Neckermann-Mann. Kobilke hat jetzt schon mal deren Kataloge ausgelegt.
Wenn es schlecht läuft, dann wird auch er bei der Agentur landen, wie die Kollegen in Nürnberg und Fürth. Aber was das bedeuten würde, weiß er auch. "In meinem Alter, da brauchste draußen nicht mehr suchen."
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