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Das Ende der grünen Kreuzzüge

Die lange verhärteten Fronten zwischen den Grünen und den Kirchen brechen auf. Gemeinsamkeiten werden betont. Sogar ein Treffen der grünen Parteispitze mit der Katholischen Bischofskonferenz ist geplant  ■ Von Bernhard Pötter

Noch vor einem Jahr waren die Fronten klar. Zwischen Bündnisgrünen und der katholischen Kirche galt „das Tischtuch als zerschnitten“, wie die Katholiken es in den achtziger Jahren formuliert hatten. Zu schwer wogen die Unterschiede bei den Themen Abtreibung, Kirchensteuern, Rechte der Frauen oder Militärseelsorge. Das erfuhren noch im November 1996 der stellvertretende Ministerpäsident und grüne Bauminister von Nordrhein-Westfalen, Michael Vesper, und die kirchenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Christa Nickels. Bei der Wahl in das Laiengremium Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wurden sie abgeschmettert. Die damalige ZdK- Präsidentin Rita Waschbüsch hatte protestiert: Beide hätten „keine Brücken zwischen der Partei und der Kirche gebaut“.

Diese Brücken stehen inzwischen. Und das Klima zwischen Grünen und der Kirche hat sich in rasantem Tempo verbessert. Statt gegenseitiger Verteufelung beginnen beide Seiten, sich nüchtern einzuschätzen und die andere Seite als potentielle Verbündete zu begreifen. Deutlichster Ausdruck dafür ist das neue Wahlprogramm der Grünen. Statt wie früher „Trennung von Staat und Kirche“ lautet der Tenor jetzt: „Verhältnis von Staat und Kirche neu bestimmen“. Betont werden die Gemeinsamkeiten. Bei der „sozialen Arbeit und der Parteinahme für Benachteiligte gibt es zahlreiche gemeinsame Ansätze und gute Erfahrungen“, heißt es. „Kirchen sind ein wichtiger Bündnispartner z.B. im Kampf gegen die Ellenbogengesellschaft und für eine humane Ausländerpolitik.“ Zwar fordern die Grünen weiterhin eine „konsequente Trennung“ von Staat und Kirche, doch die Ablösung der Kirchensteuer solle erst „mittelfristig“ erfolgen – und auf eine Weise, die selbst im Vatikan ernsthaft diskutiert wird.

Die Streitpunkte zwischen den Grünen und dem Klerus werden im Programm systematisch kleingekocht. Die Abschaffung der Militärseelsorge findet nur kurze Erwähnung, ebenso die Einführung des allgemeinen Tarifrechts für kirchliche Mitarbeiter. Der Streit um den Religionsunterricht an Schulen und das Fach LER ist gänzlich ausgeklammert.

Auch die Kirchen sind zur Neubestimmung bereit. Dem neuen ZdK-Präsidenten, dem sächsischen Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer (CDU), sind die „politischen Fronten aus dem Westen neu“. Aus DDR-Zeiten kenne er viele Bündnisgrüne. „Kirchenhasser“ seien ihm nicht begegnet. Die vom ZdK-Plenum abgelehnte Nickels soll sich nun im ZdK-Arbeitskreis „politische Grundfragen“ bewähren. Und auch ein Treffen der grünen Parteispitze mit der Katholischen Bischofskonferenz ist nicht mehr tabu. „Der Ton ist anders geworden“, heißt es aus der Kirche. „Der Trend geht zur Kooperation.“

Auch mit der evangelischen Kirche, mit der traditionell das Konfliktpotential geringer ist, werden die Kontakte intensiviert. Spitzengrüne und die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) pflegen regelmäßige Konsulationen. Die EKD berief die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer in ihr neues Kirchenparlament und in das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Das ökumenische „Sozialwort“ der Kirchen stieß bei der Partei auf breite Zustimmung. Im Oktober schließlich berieten Grüne und Kirchenvertreter in Berlin über eine humane Asyl- und Ausländerpolitik.

Hauptverantwortlich für den Brückenbau zu den Kirchen ist bei den Bündnisgrünen die Pontifex Maxima Christa Nickels. Zusammen mit der evangelischen Christin und Vorstandssprecherin Gunda Röstel sowie mit der „Bundesarbeitsgemeinschaften Christinnen und Christen bei den Bündnisgrünen“ im Rücken treibt die engagierte Katholikin die Aussöhnung voran. Sie hat ein weites Feld der Zusammenarbeit ausgemacht. Das Sozialwort etwa sei ein Ausgangspunkt, um die Risse in der Gesellschaft zu kitten und „den Zug in die Raff- und Zweidrittelgesellschaft zu stoppen“. Kirche und Grüne säßen bei vielen Themen im selben Boot, ist Nickels' Credo.

Deshalb fordert sie ein Ende der Querschüsse zu dem Thema. „Sprücheklopfer“ in der eigenen Partei, die etwa das christliche Abendmahl mit Drogen in Verbindung bringen, müßten „an die Kandare genommen werden“. Schärfster Widerspruch zum neuen Schmusekurs kommt ausgerechnet aus dem NRW-Landesverband von Nickels und Vesper. Zu weit geht einigen die Konsensbereitschaft.

Ein Ende der Konfrontation soll sowohl den Grünen als auch den Kirchen Vorteile bringen. Die Grünen hoffen auf Wähler aus dem bürgerlichen Lager und aus dem Milieu kirchlicher Basisgruppen. Ein Jahr vor den Bundestagswahlen will die vormalige Protestpartei einen weiteren Schritt zur Regierungsfähigkeit machen. Die Partei habe erkannt, daß die Religionsgemeinschaften als unentbehrlicher Zusammenhalt einer auseinanderdriftenden Gesellschaft wirkten, heißt es aus der Kirche. Die Katholiken wiederum haben begriffen, daß sie in einer verstärkt pluralistischen Gesellschaft nicht mehr das Sagen haben und auf Verbündete angewiesen sind.

In Fragen der Sozialpolitik entsprächen die grünen Entwürfe sogar eher den kirchlichen Forderungen als die Politik der C-Parteien, heißt es kirchenintern. Auch hoffen die Kleriker, mit einer Öffnung zu den Grünen die verlorene junge Generation wieder anzusprechen. „Wenn das ZdK eine Zukunft haben will“, so der Präses des katholischen Jugendverbandes BDKJ, Rolf-Peter Cremer, „kann es sich nicht vor der kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit verschließen.“ Und die Grünen sind längst nicht so gottlos, wie sie sich gern geben. Ein Drittel des grünen Spektrums ist stark religiös geprägt, heißt es in dem Buch „Die Grünen und die Religion“. Die Grünen verkörperten sogar eine neue spirituelle Bewegung, die bereit sei, „die alten Religionen zu beerben“.

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