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Das Ende der Nachrichtenagentur dapdNur ein Traum

Dapd wollte die wichtigste Nachrichtenagentur des Landes werden. Die Idee war so groß, dass viele daran glaubten. Unsere Autorin hat das Ende erlebt.

Die Tränen runterschlucken: dapd stellte am 11. April den Betrieb ein Bild: tfrisch99/photocase.com

Heute Nacht habe ich geträumt, Putin hätte Ja gesagt. Und die russische Staatsagentur hätte dapd gekauft. Dann stand die Chefredakteurin von Ria Novosti bei uns im Newsroom und wir sollten über die Olympischen Spiele in Sotschi schreiben. Auf dem Weg in die Küche fällt mein Blick auf einen Stapel Notizblöcke. Bis vor Kurzem lagen sie noch in meinem Schreibtisch. Der ist jetzt leer.

Ich stelle das Radio an, Musik, bloß keine Nachrichten. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Nachrichten. Vor zwei Wochen konnte ich nicht genug davon kriegen. Rücktritte, geplatzte Regierungsbildungen, Neuwahlen – man muss schon bescheuert sein, um mit solchen Ereignissen extreme Glücksgefühle zu verbinden. Aber dann schreibst du das erste Mal eine Eilmeldung und es ist wie ein großer Rausch.

Es kribbelt in den Fingerspitzen, während du tippst. Leadsatz, Zitat, Hintergrund. Neben dir steht jemand, guckt dir über die Schulter, schlägt dir noch schnell eine Änderung vor. Dann Kürzel drunter und weg damit in die Herausgabe. Natürlich ist es manchmal frustrierend, dass niemand mit einer Nachricht deinen Namen verbindet, sondern nur ein Agenturkürzel.

Aber dann hörst du zum ersten Mal, wie eine von dir geschriebene Meldung eins zu eins im Radio vorgelesen wird, und musst grinsen. Jetzt möchte ich lieber Musik hören. Ich habe nachgezählt. Es waren 163 Tage, die ich als Volontärin bei einer insolventen Nachrichtenagentur beschäftigt war.

Eine E-Mail blinkt auf

Am Anfang steht der 2. Oktober. Ich sitze am Schreibtisch, bin gerade dabei, eine Meldung zu schreiben, als auf meinem Bildschirm eine E-Mail aufblinkt. Betreff: Einladung zur Betriebsversammlung. Ein Kollege schickt mir eine SMS: „Hier geht das Gerücht rum, dass Teile der dapd insolvent seien.“ Ich denke: „Quatsch, nie im Leben!“ Wenige Minuten später ist es offiziell. Parallel zu einem Mitarbeiterbrief geht eine Pressemitteilung raus. Ich lese „Amtsgericht Charlottenburg“ und „Insolvenzverfahren“ und verstehe nichts.

Ein paar Wochen zuvor hatte ich vor einer fassungslosen Schlecker-Mitarbeiterin gestanden. Es war jener Freitag im Juni, an dem das endgültige Aus für die insolvente Drogeriemarktkette verkündet wurde. Die Frau war geschockt, sie hatte es gerade erst erfahren. Aber sie wollte auch reden, erzählte von dem gefühlten halben Leben, das sie bei Schlecker verbracht hatte. Ich schrieb eifrig mit. Die Frau tat mir leid, aber letztendlich war sie nur eine gute Geschichte.

Bis es dich selbst trifft. Bis du selbst mit deinen Kollegen in einem Raum stehst und einen Kloß im Hals bekommst. Weil du merkst, wie dir viele ans Herz gewachsen sind. Und vorne am Pult erzählt jemand, warum es unmöglich gewesen sei, eine zweite Vollagentur in Deutschland aufzubauen. Dass das ZDF Schuld habe und die Verlage, die nicht genug zahlten.

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Meine Oma möchte wissen, wann ich nach Hause komme. „Bald“, sage ich und erzähle, dass ich jetzt erst mal Bewerbungen schreiben müsse. „Du findest was Neues“, sagt sie. „Nicht so was. Nicht mit so tollen Kollegen“, will ich erwidern, verkneife es mir aber.

Wenn etwas Krasses passiert, bleibst du länger

Ich bin fast immer gern zur Arbeit gegangen. Überstunden machten mir nichts aus. Wenn etwas Krasses passiert, bleibst du länger. Aber während der Insolvenzzeit ließ das nach. Verunsicherung stellte sich ein. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, vertippte mich, gab Fakten nicht richtig wieder und hatte Ärger mit Pressesprechern. Draußen war der Himmel grau. Gerüchte machten die Runde. Dass Stellen abgebaut werden würden, war von Anfang an klar. Aber 100? Wir Volontäre wurden schnell beruhigt: „Euch wird man nicht rausschmeißen.“

Der 28. November fällt auf einen Mittwoch. Es ist kalt, ich fahre mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock. In der Morgenkonferenz, in der normalerweise die Themen des Tages besprochen werden, teilt der Insolvenzverwalter mit, dass die Ressorts später einzeln in den siebten Stock gerufen werden.

Dort oben in der Chefetage sollen die Kündigungen ausgesprochen werden. Zuerst ist der Sport dran. Die Mitarbeiter fahren hoch, sie kommen wieder runter, sie müssen alle gehen bis auf einen. Ich sitze am Schreibtisch, starre auf meinen Bildschirm. Versuche eine Meldung zu schreiben, es geht nicht. Dann der Anruf, wir sollen hochkommen. Ich schlucke im Fahrstuhl Tränen herunter.

Oben im siebten Stock hat man einen weiten Blick auf die Gegend. Der Insolvenzverwalter steht vor uns, er hält eine Liste in der Hand. Wir müssen unsere Namen sagen. Er sagt etwas, nennt einen Namen. Wir können wieder gehen, eine von uns muss dableiben. Wir fahren runter, ich fange an zu heulen. An diesem Tag werden Familienväter mit kleinen Kindern gekündigt, Redakteure mit 26 Jahren Arbeitserfahrung und Fotografen, die nur noch ein paar Jahre bis zur Rente gehabt hätten. Es ist ein Kahlschlag durch die Reihen der Redaktion, eine Kollegin nennt es „das große Gemetzel“.

Im Herzen Journalist

Wenige Wochen später stellt sich ein Mann vor die verbliebenen Leute. Er sagt, dass er Ulrich Ende heiße und die dapd kaufen wolle, dass er im Herzen Journalist sei und dass er die Bildsprache der Agentur liebe. Aufatmen, es geht weiter. Aber so richtig raus aus dem Stillstand kommen wir nicht. Es gibt kaum klare Ansagen, Ende lässt sich nur wenig in der Redaktion blicken, seine Mitinvestoren bleiben im Verborgenen.

Irgendwann geht die Chefredakteurin, wir sind kopflos. Neue Gerüchte machen die Runde. Warum werden neue Mietverträge für Außenbüros nicht unterschrieben?

Der Februar vergeht. Am 1. März bin ich nicht in der Redaktion. Ein Kollege schreibt mir eine SMS „Eil: angeblich neuer Insolvenzvertrag.“ Das Spiel beginnt von vorne. Es gibt Spekulationen über neue Interessenten. Wir machen Witze darüber, dass die chinesische Staatsagentur demnächst auf der Matte steht. Dann ist es RIA Novosti.

Am Ende kommt es nicht so weit. Am 11. März tritt die Insolvenzverwalterin vor die Redaktion. Sie sagt, der Betrieb müsse eingestellt werden. Die Verhandlungspartner von Ria Novosti hätten sich nicht mehr gemeldet, die Zustimmung der Gesellschafter aus dem Kreml war ausgeblieben. Sie sieht traurig aus. Neben ihr steht Ende. Er wird gefragt, ob er sich nicht entschuldigen möchte. Doch nein, das möchte er nicht. Später wird er in der „Tagesschau“ zu hören sein.

Das ist jetzt fast zwei Wochen her. Mit dem Ende der dapd kam der Frühling. Draußen scheint die Sonne. Das ist unfair. Ich hoffe, dass wir irgendwo anders unterkommen. Dass ich manche meiner Kollegen auf Pressekonferenzen wiedertreffe, dass ich andere als Chefredakteure bewundern kann. Dass irgendwo in einem Büro ein Staatsanwalt eine Akte anlegt und dass irgendwo ein Journalist die ersten Zeilen darüber schreibt, was bei der Insolvenz der Nachrichtenagentur dapd wirklich geschehen ist.

Die Autorin schreibt unter Pseudonym.

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4 Kommentare

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  • DL
    Daniel Lücking

    In den Worten, mit denen Sie die Leidenschaft für ihren Beruf beschreiben finde ich mich wieder, auch wenn wir unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen in den Journalismus eingestiegen sind. Vielen Dank dafür, dass hilft mir gerade sehr.

     

    Ich bewundere ihre Kraft, Bewerbungen zu schreiben, die lebendige Sprache des Artikels, die so gar nicht nach der einer Nachrichtenschreiberin aussieht. Schauen Sie nicht all zu lang zurück und nehmen Sie das Beste aus dieser Situation mit.

     

    Alles Gute und viel Kraft

  • O
    oohpss

    Ein beeindruckender Bericht.Für die Suchmaschinen hätte ich noch Martin Vorderwülbecke und Peter Löw genannte. Denn eigentlich haben die die Agenturen in Frankreich, der Schweiz und Deutschland vor die Wand gefahren und ungezählte angelogen uns ausgenutzt.

    Als Finanzinvestoren großartige Zocker, die es verstehen, die Möglichkeiten des Systems zu ihrem Nutzen auszureißen, haben die beiden nach meiner Meinung mit diesem Schlachtfest bewiesen, dass sie als Unternehmensmanager absolut unfähig sind.

  • AF
    Alex Flor

    War dapd wirklich eine Nachrichtenagentur oder zumindest in Teilen eine kriminelle Vereinigung. dapd nahm gnadenlos Jagd auf Blogger und Websites im Internet, die angeblich ihre Urheberrechte verletzten. Man bediente sich hierfür einer namhanften Inkasso-Kanzlei in Hamburg und einem weiteren Hamburger Unternehmen, welches das Internet gezielt nach dapd-Content durchsuchte. Alles weitere lief vollautomatisch: die Softwarefirma entdeckte den vermeintlich geschützten dapd-Content und die Kanzlei schickte die mit Stripcode versehenen massenhaften Abmahnungen. Widersprüche wurden per Stripcode-Automatik mit einem Schreiben beantwortet, welches direkt zur Verhandlung vor Gericht führte.

    Ein Beispiel: Wir schreiben das Jahr 1999. Die deutsche NGO Watch Indonesia! sendet eine mit Spenden- und Fördergeldern ermöglichte Beobachtermission zum Referendum über die Unabhängigkeit Osttimors. Von Anfang an war klar, dass dieses Referendum auf massiven Widerstand seitens des indonesischen Militärs und der von ihm finanzierten Milizen treffen würde. Deutsche Nachrichtenagenturen hatten kein eigenes Personal vor Ort. Ein niederländischer Journalist bezahlte seinen Einsatz vor Ort mit dem Leben, ein britischer Korrespondent der BBC wurde vor laufenden Kameras tätlich angegriffen. Die deutschen BeobachterInnen von Watch Indonesia! gerieten ebenfalls unter Beschuss und mussten von der australischen Luftwaffe evakuiert werden.

    Die deutsche AP (Associated Press) interviewte hierzu aus dem sicheren Frankfurt am Main die Sprecherin von Watch Indonesia! in Berlin. Ein Honorar wurde nicht bezahlt.

    Als Rechtfertigung der getätigten Spenden stellte Watch Indonesia! die AP-Meldung später auf die vereinseigene Homepage. Die Urheberrechte lagen klar bei Watch Indonesia! und keineswegs bei AP oder gar der dapd, die erst Jahre später gegründet wurde.

    13 Jahre (!) danach erhielt Watch Indonesia! e.V. im Auftrag von dapd eine Abmahnung der Hamburger Inkasso-Kanzlei. Die Agenturen AP Deutschland und ddp waren mittlerweile von dapd übernommen worden. Computerprogramme sorgten dafür, die Rechte auf vermeintlichen "Content" wahrzunehmen, von dem dapd in Wirklichkeit keine Ahnung hatte.

    Eigentlich schade, dass diese Agentur nun unwiderruflich pleite zu sein scheint. Als einer der Verantwortlichen auf Seiten von Watch Indonesia! e.V. hätte ich mich auf einen öffentlichen Prozess wirklich gefreut.

     

    Alex Flor, Watch Indonesia! e.V.

    Berlin

  • S
    Sikarus

    Wer das Nachrichtengeschäft des "Deutschen Depeschendienstes dpd" über Jahre hinweg aufmerksam verfolgt hatte, musste sich auch nach dem Kauf von AP-Deutschland nicht wundern, dass die dapd bald den Bach runter gehen würde.