Das Ende der Nachrichtenagentur dapd: Nur ein Traum
Dapd wollte die wichtigste Nachrichtenagentur des Landes werden. Die Idee war so groß, dass viele daran glaubten. Unsere Autorin hat das Ende erlebt.
Heute Nacht habe ich geträumt, Putin hätte Ja gesagt. Und die russische Staatsagentur hätte dapd gekauft. Dann stand die Chefredakteurin von Ria Novosti bei uns im Newsroom und wir sollten über die Olympischen Spiele in Sotschi schreiben. Auf dem Weg in die Küche fällt mein Blick auf einen Stapel Notizblöcke. Bis vor Kurzem lagen sie noch in meinem Schreibtisch. Der ist jetzt leer.
Ich stelle das Radio an, Musik, bloß keine Nachrichten. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Nachrichten. Vor zwei Wochen konnte ich nicht genug davon kriegen. Rücktritte, geplatzte Regierungsbildungen, Neuwahlen – man muss schon bescheuert sein, um mit solchen Ereignissen extreme Glücksgefühle zu verbinden. Aber dann schreibst du das erste Mal eine Eilmeldung und es ist wie ein großer Rausch.
Es kribbelt in den Fingerspitzen, während du tippst. Leadsatz, Zitat, Hintergrund. Neben dir steht jemand, guckt dir über die Schulter, schlägt dir noch schnell eine Änderung vor. Dann Kürzel drunter und weg damit in die Herausgabe. Natürlich ist es manchmal frustrierend, dass niemand mit einer Nachricht deinen Namen verbindet, sondern nur ein Agenturkürzel.
Aber dann hörst du zum ersten Mal, wie eine von dir geschriebene Meldung eins zu eins im Radio vorgelesen wird, und musst grinsen. Jetzt möchte ich lieber Musik hören. Ich habe nachgezählt. Es waren 163 Tage, die ich als Volontärin bei einer insolventen Nachrichtenagentur beschäftigt war.
Eine E-Mail blinkt auf
Am Anfang steht der 2. Oktober. Ich sitze am Schreibtisch, bin gerade dabei, eine Meldung zu schreiben, als auf meinem Bildschirm eine E-Mail aufblinkt. Betreff: Einladung zur Betriebsversammlung. Ein Kollege schickt mir eine SMS: „Hier geht das Gerücht rum, dass Teile der dapd insolvent seien.“ Ich denke: „Quatsch, nie im Leben!“ Wenige Minuten später ist es offiziell. Parallel zu einem Mitarbeiterbrief geht eine Pressemitteilung raus. Ich lese „Amtsgericht Charlottenburg“ und „Insolvenzverfahren“ und verstehe nichts.
Ein paar Wochen zuvor hatte ich vor einer fassungslosen Schlecker-Mitarbeiterin gestanden. Es war jener Freitag im Juni, an dem das endgültige Aus für die insolvente Drogeriemarktkette verkündet wurde. Die Frau war geschockt, sie hatte es gerade erst erfahren. Aber sie wollte auch reden, erzählte von dem gefühlten halben Leben, das sie bei Schlecker verbracht hatte. Ich schrieb eifrig mit. Die Frau tat mir leid, aber letztendlich war sie nur eine gute Geschichte.
Bis es dich selbst trifft. Bis du selbst mit deinen Kollegen in einem Raum stehst und einen Kloß im Hals bekommst. Weil du merkst, wie dir viele ans Herz gewachsen sind. Und vorne am Pult erzählt jemand, warum es unmöglich gewesen sei, eine zweite Vollagentur in Deutschland aufzubauen. Dass das ZDF Schuld habe und die Verlage, die nicht genug zahlten.
Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. Meine Oma möchte wissen, wann ich nach Hause komme. „Bald“, sage ich und erzähle, dass ich jetzt erst mal Bewerbungen schreiben müsse. „Du findest was Neues“, sagt sie. „Nicht so was. Nicht mit so tollen Kollegen“, will ich erwidern, verkneife es mir aber.
Wenn etwas Krasses passiert, bleibst du länger
Ich bin fast immer gern zur Arbeit gegangen. Überstunden machten mir nichts aus. Wenn etwas Krasses passiert, bleibst du länger. Aber während der Insolvenzzeit ließ das nach. Verunsicherung stellte sich ein. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, vertippte mich, gab Fakten nicht richtig wieder und hatte Ärger mit Pressesprechern. Draußen war der Himmel grau. Gerüchte machten die Runde. Dass Stellen abgebaut werden würden, war von Anfang an klar. Aber 100? Wir Volontäre wurden schnell beruhigt: „Euch wird man nicht rausschmeißen.“
Der 28. November fällt auf einen Mittwoch. Es ist kalt, ich fahre mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock. In der Morgenkonferenz, in der normalerweise die Themen des Tages besprochen werden, teilt der Insolvenzverwalter mit, dass die Ressorts später einzeln in den siebten Stock gerufen werden.
Dort oben in der Chefetage sollen die Kündigungen ausgesprochen werden. Zuerst ist der Sport dran. Die Mitarbeiter fahren hoch, sie kommen wieder runter, sie müssen alle gehen bis auf einen. Ich sitze am Schreibtisch, starre auf meinen Bildschirm. Versuche eine Meldung zu schreiben, es geht nicht. Dann der Anruf, wir sollen hochkommen. Ich schlucke im Fahrstuhl Tränen herunter.
Oben im siebten Stock hat man einen weiten Blick auf die Gegend. Der Insolvenzverwalter steht vor uns, er hält eine Liste in der Hand. Wir müssen unsere Namen sagen. Er sagt etwas, nennt einen Namen. Wir können wieder gehen, eine von uns muss dableiben. Wir fahren runter, ich fange an zu heulen. An diesem Tag werden Familienväter mit kleinen Kindern gekündigt, Redakteure mit 26 Jahren Arbeitserfahrung und Fotografen, die nur noch ein paar Jahre bis zur Rente gehabt hätten. Es ist ein Kahlschlag durch die Reihen der Redaktion, eine Kollegin nennt es „das große Gemetzel“.
Im Herzen Journalist
Wenige Wochen später stellt sich ein Mann vor die verbliebenen Leute. Er sagt, dass er Ulrich Ende heiße und die dapd kaufen wolle, dass er im Herzen Journalist sei und dass er die Bildsprache der Agentur liebe. Aufatmen, es geht weiter. Aber so richtig raus aus dem Stillstand kommen wir nicht. Es gibt kaum klare Ansagen, Ende lässt sich nur wenig in der Redaktion blicken, seine Mitinvestoren bleiben im Verborgenen.
Irgendwann geht die Chefredakteurin, wir sind kopflos. Neue Gerüchte machen die Runde. Warum werden neue Mietverträge für Außenbüros nicht unterschrieben?
Der Februar vergeht. Am 1. März bin ich nicht in der Redaktion. Ein Kollege schreibt mir eine SMS „Eil: angeblich neuer Insolvenzvertrag.“ Das Spiel beginnt von vorne. Es gibt Spekulationen über neue Interessenten. Wir machen Witze darüber, dass die chinesische Staatsagentur demnächst auf der Matte steht. Dann ist es RIA Novosti.
Am Ende kommt es nicht so weit. Am 11. März tritt die Insolvenzverwalterin vor die Redaktion. Sie sagt, der Betrieb müsse eingestellt werden. Die Verhandlungspartner von Ria Novosti hätten sich nicht mehr gemeldet, die Zustimmung der Gesellschafter aus dem Kreml war ausgeblieben. Sie sieht traurig aus. Neben ihr steht Ende. Er wird gefragt, ob er sich nicht entschuldigen möchte. Doch nein, das möchte er nicht. Später wird er in der „Tagesschau“ zu hören sein.
Das ist jetzt fast zwei Wochen her. Mit dem Ende der dapd kam der Frühling. Draußen scheint die Sonne. Das ist unfair. Ich hoffe, dass wir irgendwo anders unterkommen. Dass ich manche meiner Kollegen auf Pressekonferenzen wiedertreffe, dass ich andere als Chefredakteure bewundern kann. Dass irgendwo in einem Büro ein Staatsanwalt eine Akte anlegt und dass irgendwo ein Journalist die ersten Zeilen darüber schreibt, was bei der Insolvenz der Nachrichtenagentur dapd wirklich geschehen ist.
Die Autorin schreibt unter Pseudonym.
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