piwik no script img

■ Das Diepgen des TagesKleiner-Mann-TV

Das waren Zeiten: „Die Kneipe an der Eck, 'nen Korn, 'ne Molle Bier, 'n Schrank, 'n Tisch, 'n Bett und stets 'ne offene Tür“, brummbasste Heinrich Lummer 1974, als er noch Fraktionsvorsitzender der Berliner CDU war. Und heute?

Verwirrend stimmschwach intoniert der ehemalige Innensenator einen Udo-Jürgens-Evergreen. „Mit 66 Jahren, da ist man noch in Schuss, mit 66 Jahren, da ist lang noch nicht Schluss“, summt Lummer in diesen Tagen. Der Grund: TV-Berlin-Chef Georg Gafron hat den rüstigen Rentner unter Vertrag genommen, eine wöchentliche Talk-Show zu dominieren. Innerhalb einer halben Stunde soll Lummer Themen von klassischer Schönheit behandeln, nämlich „all das, was die Berliner bewegt und aufregt“, so die B. Z., die den „Deal“ exklusiv melden („Das ist schon jetzt aufregend“) und Lummer zum Sendekonzept befragen durfte. „Das kann vom islamischen Religionsunterricht bis zur Videoüberwachung gefährlicher Plätze reichen“, erklärte die berühmte Skandalnudel das Konzept von „Berlin auf den Punkt“, wie der Montagstalk heißen wird.

Moment mal: Die Videoüberwachung gefährlicher Plätze, ein Ärgernis? Ist Lummer, der „Heinrich fürs Grobe“, wie er einst parteiintern genannt wurde, jetzt auf Datenschutzkurs?

Es scheint so. Das Studium der Philosophie und der Kunstgeschichte, dem sich Lummer seit dem Verlust seines Führerscheins im Jahre 1997 widmet – im Jahr zuvor war der Initiator eines Wodka-Boykotts mit einem veritablen weihnachtlichen Vollrausch am Steuer seines Wagens ertappt worden –, hat aus dem Hardliner einen Feingeist gemacht. Ins Fernsehen will er nur, „weil es etwas Neues ist“, sagt der Libanon-Kenner, das Neue reize ihn „immer“.

Wie aber soll eine politische Talk-Show aussehen, die von einem altersmilden Politpensionär angeführt wird? Steht nicht zu befürchten, dass der Mann, der einst eigenhändig Dämme gegen den „Asylzustrom“ baute, nunmehr der Toleranz und Menschenliebe das Wort reden wird? Für Gafron ist „ein Berlin-Fernsehen ohne Lummer wie die Siegessäule ohne Goldelse“. Ein leichtsinniger Vergleich: Die Goldelse misst 8,32 Meter – der geläuterte Lummer dagegen bringt es nur knapp über anderthalb. Molly Bluhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen