: Das Bild vom faulen Orchester
■ betr.: „Goldene Zeiten für Aushil fen“ (Gürzenich-Orchester), taz vom 12.10.93
[...] Es ist schon bemerkenswert, daß die taz sich in die Reihe jener begibt, die von oben nach unten treten und Verständnis für die beklagenswerten Oberhierarchien zeigt, die sich kokett hinter der Angst vor dem Vorwurf des Banausentums verstecken dürfen. Man weiß die Rücksichtnahme der taz zu schätzen, daß sie von den verantwortlichen Kulturverwaltern noch nicht das öffentliche Bekenntnis zur Richtigkeit des taz- Kulturbegriffs verlangt, in den das „Klassische“, das man von so einem Orchester auch zu hören bekommt, nicht passen will. Man muß allerdings auch zugeben, daß Orchesterdirektor Michael Kaufmann, mit seinem Eintreten für Stellenabbau, der Kritik sozusagen aus dem Inneren des Orchesters heraus, zustimmt und somit Weiterungen zu erwarten waren.
[...] Ein Klangkörper von der Bedeutung des Gürzenich-Orchesters läßt sich nicht mit den Kategorien des Personaleinsatzes etwa beim Ordnungsamt vergleichen, wo die Aufgabenstellung für den einzelnen Arbeitnehmer stets gleichbleibend ist. Es ist noch nicht einmal der Organisation anzulasten, wenn bestimmte Instrumente nicht bei jedem Konzert Verwendung finden, weil z.B. Wolfgang Amadeus Mozart es sträflicherweise unterlassen hat, in der „Kleinen Nachtmusik“ die Tuba zu besetzen. Insofern gibt das im Artikel des Kölner Stadtanzeigers beanstandete Nicht-Reagieren der Kulturverwaltung auf den Prüfbericht allerdings Anlaß zu der Hoffnung, daß hier Menschen von Kultur sich nicht dazu verpflichten lassen, die Ausübung einer Kunst als eine aus Fingerfertigkeit bestehende Dienstleistung zu bewerten, noch Vorstellungen der Art fördern, wie sie aus den Verlautbarungen des Rechnungsprüfungsamtes an den Genossen Vorurteil gerichtet werden.
Wenn die mangelnde Dienstleistung der wahre Vorwurf wäre, müßte man folgerichtig zu dem Schluß kommen, daß die Millionenstadt Köln sich einen Klangkörper von der Größe des Gürzenich-Orchesters durchaus leisten kann – wenn es nur unter voller Besetzung spielt. Zeitgenössische Komponisten wären gehalten, künftig Werke Kölner Zuschnitts zu schreiben, besser: zu erstellen. Man sieht: Der Grund für die „Diskussion“ liegt auf anderem Gebiet, die Zahl der Dienste – Fehlleistungen ausgenommen – dient nur als Vorwand, wie auch der Umstand belegt, der so gar nicht in das Bild vom faulen Orchester passen will, daß es zusätzlich zu seinen dienstlichen Verpflichtungen Konzerte spielt, etwa zum Tag der Deutschen Einheit. [...]
Wenn diese Auseinandersetzung heraufbeschworen wurde, um der Öffentlichkeit deutlich zu machen, daß sich eine Stadt wie Köln ein großes Symphonieorchester nicht mehr leisten kann, dann sollte das mit der gebührenden Qualität geschehen. Die Bürger jedenfalls sind gut beraten, wenn sie die Entscheidung über die Ausprägung der kulturellen Einrichtungen nicht denen überlassen, für die ein Konzert sich vom Vorgang des Abstempelns behördlicher Schriftstücke nicht unterscheidet. Die Auseinandersetzung über die Frage, welcher Art von Kunst wir bedürfen, würde auf dem Niveau von Erbsenzählerei abgewickelt. Man muß hoffen, daß das hervorragende Gürzenich-Orchester sich nicht auf dieses Niveau hinunterziehen läßt und schon dadurch seinen Gegnern die „Argumente“ nimmt. Bernward Mindé, Köln
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