■ Nachdenkliches zum Tag der Deutschen Einheit: Dank dem guten Russen
Früher, als es noch die richtige, schlanke BRD gab, gab es auch noch den 17. Juni. Dieser war allseits beliebt, denn die Erwachsenen mußten nicht zur Arbeit und die Kinder nicht zur Schule. „Tag der Deutschen Einheit“ hieß der 17. Juni mit zweitem Namen. Das war verwirrend, feierte man doch etwas, was es gar nicht gab. Vor acht Jahren trat dann angeblich das ein, was man schon jahrelang vorher gefeiert hatte: die deutsche Einheit. Doch schon bald merkte man, daß es erst recht keinen Grund mehr zum Feiern gab. Da hatte man aber schon den 17. Juni auf den 3. Oktober verlegt; den Tag, an dem 1990 jene Grenze offiziell abgeschafft wurde, die damals die alte BRD hatte so schlank und grazil erscheinen lassen.
Sehr durchdacht war das nicht. Keiner der Verantwortlichen hatte auch nur einen Gedanken an die Menschen verschwendet, die am 17. Juni geboren waren: Ihr Geburtstag fiel von nun an flach. Natürlich könnte man am neuen 17.Juni feiern, der nun am dritten Oktober stattfindet, aber irgendwie ist das ja auch doof, vier Monate nach dem Geburtstag, den es zudem gar nicht mehr gibt, nachzufeiern.
Die Geburtstagskinder des 3. Oktober haben dagegen das große Los gezogen, dürfen sie doch jetzt an ihrem Geburtstag bis in die Puppen schlafen. Und die am 3. Oktober Entschlafenen dürfen sich freuen, daß nun ihre Liebsten, Freunde und Verehrer an ihrem Todestag die Zeit haben, ihnen die Ehre zu erweisen. Einer dieser glücklichen ist F. J. Strauß. Seine treuen Fans können an diesem Feiertag aus ganz Bayern zu seiner Grabstatt pilgern, Botschaften und Urin auf dem Grabmal hinter- und Maßkrüge kreisen lassen und „FJS lebt“, „oans, zwoa gsuffa“, „Wähl auch du/CSU“ oder „Abzapft is“ in die Platte meißeln.
Verantwortlich für die ganze Feiertags- und Kalenderkonfusion ist letztlich der Russe. Schon den 17. Juni hatten wir ihm zu verdanken, ließ er doch an selbigem vor 44 Jahren seine ostdeutschen Bluthunde unter seinem Chefvasallen Walter Ulbricht gegen das ostdeutsche Volk, das die Einheit mit dem westdeutschen wollte, von der Leine, was die Westdeutschen dazu veranlaßte, mit einem Nationalfeiertag den Willen ihres Widerstands gegen den roten Widerling jährlich aufs neue zu demonstrieren. Und wie einst den 17. Juni haben wir auch seine Abschaffung und damit den 3. Oktober dem Russen zu verdanken, vielmehr seiner Kapitulation vor dem Kapitalismus – und damit auch den guten Russen wie Gorbatschow und Jelzin, die jene Kapitulation vorbereiteten und vollendeten. Ausgerechnet auf den Tag genau vier Jahre nach diesem großen Erfolg wollte es der böse rote Russe noch einmal wissen: Am 3.Oktober 1993 putschte er gegen den guten Russen Boris Jelzin. Nicht auszudenken, wäre der Putsch gelungen. Der böse rote Russe wäre wieder nach Westen marschiert, wegen jenes verflixten 3. Oktober hätten wir vielleicht unseren 3. Oktober wieder abschaffen müssen, wegen des bösen Russen! Zum Glück kam ja alles anders, der gute Russe hat sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, und der 3. Oktober blieb unser Tag der Deutschen Einheit.
So kann der Strauß-Freund weiterhin am 3. Oktober zum Grabmal seines großen Idols pilgern, sich dort mit dem guten Russen treffen, sie können Wodka und Bier tauschen, Brüderschaft trinken, als Geste der Erleichterung gegen die Friedhofsmauer pissen, mit 3,17 Promille in ihr Auto steigen und mit diesem schnurstracks, als Geste der Einheit, die Friedhofsmauer niederreißen.
Für mich dagegen zählt die Tatsache, daß ich endlich mal wieder an einem Freitag bis in die Puppen schlafen kann, weil Bauarbeiter, Müllmänner, Schulkinder und sonstige Werktagslärmer Ruhe geben werden. Joachim Frisch
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