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Danach, wenn der Frieden kommt

Übermorgen gehen in Guatemala mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Guerilla und Regierung 35 Jahre Bürgerkrieg endgültig zu Ende. Aber die Wunden sind noch offen  ■ Aus Guatemala Anne Huffschmid

Am 29. Dezember will Werner ein neues T-Shirt überziehen. Der Mann mit den fein geschwungenen Mayazügen und dem unerklärlich deutschen Namen lacht zuversichtlich. Ab diesem Tag, an dem in der sechs Stunden entfernten Hauptstadt der „definitive Frieden“ unterschrieben werden soll, wird auf seiner zierlichen Brust erstmals für alle sichtbar ein subversiver Maiskolben prangen, das Logo des guatemaltekischen Guerillaverbands URNG.

„Das Ambiente hat sich entspannt“, meint Werner, sitzt selbst entspannt im Gras und zieht an seiner Zigarette. Wie viele andere in San Marcos, einer Provinzhauptstadt nahe der mexikanischen Grenze, gehört der junge Gewerkschaftler zum logistischen Umfeld der ORPA, einer von vier in der URNG zusammengeschlossenen Guerillaorganisationen.

Wie es dazu kommen konnte, daß Werner Orozco und weitere 9.000 – aktive und passive – Guerilleros nach dreieinhalb Jahrzehnten Bürgerkrieg nun aus den Bergen an die Öffentlichkeit gehen, darum geht es diesen Sonntag in der kühlen Halle der kirchlichen Radiostation von San Marcos. Eingeladen sind VertreterInnen von Gemeindeverwaltung und Basisgruppen, diskutiert werden soll über die Abkommen, auf die sich URNG und Regierung in fünf zähen Verhandlungsjahren geeinigt haben. Als weitgehendste Einigung gilt der Text über „die Identität und Rechte der indianischen Völker“ – die in Guatemala die Bevölkerungsmehrheit stellen. Anfang des Jahres hatte der frischgewählte Präsident Alvaro Arzú als besondere Dreingabe die Gründung eines Ministeriums für indigene Angelegenheiten vorgeschlagen. „Wir wollen nicht ein Ministerium“, ruft der Gastredner Alberto Mazarriegos, Mayaaktivist der ersten Stunde, in den Saal, „wir wollen alle Ministerien!“ Und damit eine „Mayarisierung“ der Institutionen, besonders des Gesundheits- und Schulwesens.

Aber so ganz klar sind die indigenen Strategien im Nachkriegsguatemala nicht. Nachdem ein Zuhörer mit dem Argument „Schließlich sind wir alle Guatemalteken“ gegen etwaige separatistische Anwandlungen polemisiert hat, antwortet ihm eine Frau mit dem Hinweis gegen die „ewige Funktionalisierung von uns Mayas in der Politik“, die doch keine angemessene Repräsentation zulasse. Derzeit verstehen sich gerade mal zwei von insgesamt 90 Abgeordneten als Mayaparlamentarier. „Wir haben uns aber auch selber marginalisiert“, gibt ein junger Mann zu bedenken. Na ja, aber das jahrhundertelange Schweigen der Ahnen, hatte Alberto bei der Anreise durch die kurvenreichen Bergstraßen noch erläutert, sei eben auch eine Form des Widerstands gewesen – vom Eroberer fälschlicherweise als indigene Tumbheit mißverstanden.

Mit barfüßigem Antimodernismus hat jemand wie Alberto wenig im Sinn. Gegen gute Schuhe, eine solide Aktentasche oder auch Computer habe er „nicht das geringste“ einzuwenden. Und schließlich werde gegenwärtig schon an entsprechenden Computerprogrammen gebastelt. „Statt Good Morning steht dann eben Sakaric auf dem Bildschirm“, grinst Alberto. Selbst sperrige Begriffe lassen sich mit ein wenig Phantasie in den alten Indiosprachen wiederfinden. So heißt beispielsweise „Friedensprozeß“ auf Quiché: „Chi sukmaj iwib pa nimalaj utzi“, zu deutsch etwa: „Einigt euch, aber immer in großer Freude.“

Die Freude hält sich unter Oppositionellen allerdings in Grenzen. Viele sehen die Abkommen lediglich als Ausgangspunkt – ihre Umsetzung bedeutet vor allem „einen Haufen Arbeit für uns“, glaubt etwa Catalina Sobornis. Die Christdemokratin fungiert derzeit als Sprecherin der „Versammlung der Zivilgesellschaft“, die als übergreifende Instanz einen Großteil der Abkommen inhaltlich erarbeitet hatte. Nur „ein paar Werkzeuge für das Danach“ seien die Abkommen, meint auch die Vorsitzende der Juristenvereinigung AGJ, Lesbia Televán. Dann, sagt sie, komme wohl erst mal „eine Politik der ganz kleinen Schritte“. Es klingt ein wenig resigniert.

Das Auditorium des Hospitalkomplexes bei dem Städtchen Totonicapán ist mit weißen Papiertauben geschmückt. Sonst aber erinnert kaum etwas an Feststimmung, keine bunten Tücher, kaum Frauen und überhaupt wenige Leute sind zu sehen. Eingeladen hat die Regierung zu einem der unzähligen „Friedensworkshops“, die derzeit im ganzen Lande veranstaltet werden. Der Moderator stellt den Stargast aus der Hauptstadt, einen Vertreter der offiziellen Verhandlungskommission Copaz, vor. Müde sieht er aus, der graugesichtige Mann mit „dem Charisma eines schlechtgelaunten Fisches“, wie eine Kollegin boshaft bemerkt.

In Kleingruppen sollen die Anwesenden erarbeiten, welche Probleme der „Perfektionierung des Friedensprozesses“ noch im Wege stehen. Nach einer Weile Getuschel und Geraschel tragen Gruppensprecher die Ergebnisse vor: Von Analphabetismus und Ausbeutung ist die Rede, von Kriminalität und Diskriminierung, einer sorgt sich um die Widerstände „mächtiger Sektoren“. Ein Redner nutzt die Gelegenheit zu einem kleinen Werbespot für seinen evangelischen Gebetsverein („Jesus Christus – der beste Frieden“), und ein junger Gewerkschaftler hält eine feurige Rede „gegen die Desinformationspolitik der Regierung“. Der prominente Zuhörer läßt es mit steinerner Miene über sich ergehen. Als Abschiedsgeschenk dürfen die TeilnehmerInnen ein paar schlecht kopierte Fotos von Mutter Teresa, Martin Luther King und Mahatma Gandhi mitnehmen.

Nicht minder surreal geht es auch auf weniger offiziellen Foren zu. Im „Indio-Salon“ von Sololá, einer Kleinstadt nahe des malerischen Atitlán-Sees, wollen ein paar angereiste Menschenrechtler über die „Rolle der Zivilgesellschaft nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages“ berichten. Vor ihnen sitzen auf langen Holzbänken knapp hundert traditionell gewandete Männer und Frauen und hören geduldig zu, wie die Reden der Besucher in ihre Sprache, Katchikel, übersetzt werden. Um „unseren Frieden“ geht es, und darum, wie man der Regierung die vollständige Durchsetzung der Abkommen abringen kann. Während ein Vertreter der staatlichen Menschenrechtsbehörde über die Schrecken des Krieges doziert, der „nur Armut und Unterentwicklung“ über die Menschen gebracht habe, beschießen sich zwischen den Bänken ein paar Mayakinder mit Wasserpistolen. Wenig später rückt der Menschenrechtsanwalt Mario Garcia den Kausalzusammenhang wieder gerade: „Wegen der Armut ist es überhaupt erst zum Krieg gekommen.“

Bei der anschließenden Fragerunde herrscht zunächst einmal Schweigen. Schließlich faßt einer Mut. „Was bedeutet eigentlich sozio-ökonomisch?“ will er in gebrochenem Spanisch wissen. Mario blinzelt den Frager einen kurzen Moment verwirrt an, dann holt er zu einer langen Erklärung aus. „Wenn der Frieden unterschrieben wird, gehen dann die Entführungen bei uns im Dorf weiter?“ fragt ein anderer. Nicht auf alle Fragen haben die StädterInnen eine Antwort.

„Man kann doch jetzt nicht so tun, als ob nichts gewesen sei“, sagt Feliciana Macario vom Vorstand der Witwenvereinigung Conavigua. Einen Blick zurück „ohne Rachegelüste“, aber im Zorn, meint die 28jährige Quiché-Frau, die als junges Mädchen die halbe Familie bei einem Massaker durch paramilitärische Gruppen verloren hat. Um die Vergangenheitsbewältigung soll sich ab nächstem Jahr eine „Wahrheitskommission“ kümmern. Allerdings mit sehr begrenztem Mandat: sie muß auf individuelle Schuldzuweisungen verzichten. „Wie eine kalte Dusche“ sei das für die Menschenrechtler gewesen, erinnert sich Hugo Cabrera von der „Konvergenz für die Wahrheit“, die in ihren Archiven rund 5.000 Fälle von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert hat. So könne man höchstens noch „moralische Sanktionen“ erreichen, aber „die Folterer werden nicht im Knast landen“.

Auch für Lesbia Televán ist die Vergangenheit lebendig: Seit Jahren fährt die Juristin zu den sogenannten geheimen Friedhöfen, den Massengräbern der Armee, die noch immer überall entdeckt werden. „Das erste Mal bin ich einfach in Ohnmacht gefallen.“ Heute hat die Juristin Routine. „Aber heulen muß ich immer noch, wenn die Leute ihre Geschichten zu den Massengräbern erzählen“ – von aufgeschlitzten Bäuchen, von Kinderköpfen, die an Steinen zerschmettert wurden. Die Erinnerungen waren früher wie schreckliche Geheimnisse gehütet worden, sagt Lesbia, „heute fangen die Menschen wenigstens an, davon zu erzählen“.

In der Hauptstadt ist vom Anbruch eines neuen Zeitalters wenig zu spüren. Nicht Friedenseuphorie, sondern weihnachtlicher Lamettaschmuck bestimmt das Straßenbild. Spätestens am Sonntag wird sich das ändern: Zur symbolträchtigen Unterschrift im Nationalpalast werden rund 1.500 Gäste aus aller Welt erwartet, darunter mehr als ein Dutzend Staatschefs. Knapp 1.000 PressevertreterInnen haben sich angesagt.

Mehr als 15 Millionen Dollar läßt sich die Regierung das Friedensspektakel kosten. Mützchen und Fähnchen liegen schon seit Wochen bereit. Gedruckt sind sie vorzugsweise auf gelbem Stoff – die Farbe der Regierungspartei PAN. „Wenn wir nicht aufpassen“, so der Soziologe Orlando Blanco vom Parteivorstand des Oppositionsbündnisses „Demokratische Front Neues Guatemala“, „dann werden sie den Frieden für sich verbuchen.“ Und das sei durchaus wörtlich zu verstehen: Schließlich soll die Umsetzung der Abkommen vor allem mit internationalen Mitteln finanziert werden.

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