Damon Albarn in Hamburg: Weltschmerz und Traurigkeit
Damon Albarn fokussiert sich auf seinen Gesang und sein Klavierspiel. Am Montag stellte der Britpopper sein neues Album in der Elbphilharmonie vor.
Vorab ein Shitstorm in den sozialen Medien. In einem Interview mit der Los Angeles Times behauptete Damon Albarn, Taylor Swift würde ihre Songs gar nicht selber schreiben. Den Einwand des Journalisten, sie sei doch zumindest Co-Autorin, ließ er nicht gelten. Sein Kommentar: „Das zählt nicht.“ Taylor Swift fand das überhaupt nicht lustig. Bei Twitter klagte sie, das sei völlig falsch und rufschädigend. Daraufhin entschuldigte sich der Brite bei der Sängerin. Während seines Auftritts in der Walt Disney Concert Hall erklärte er zudem, seine Worte seien nicht korrekt wiedergegeben worden.
Sicher haben einige Damon-Albarn-Fans diesen Vorfall noch vor seinem Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie im Kopf. Doch als der Musiker den Saal betritt, lassen sie es ihn nicht spüren, im Gegenteil: Der 53-Jährige wird mit warmem Applaus empfangen, als er sich an den Flügel setzt, um sein neues Album „The nearer the Fountain, more pure the Stream flows“ in Gänze vorzustellen.
Eingangs wird die Bühne in blaues Licht getaucht, das passt perfekt zur melancholischen Musik, bei der neben der Band vor allem auch die Demon Strings, ein Streichquartett, immer wieder Akzente setzen. Leicht verspult leiten sie „Royal Morning Blue“ ein. Dieses Stück entwickelt sich zu einer wehmütigen Meditation, die Damon Albarn schließlich mit den Worten „Stay by my side / At the end of the world“ ausklingen lässt. Bei „Esja“ oder „The Cormorant“ kann man sich vom Meeresrauschen einfach davontragen lassen. In andere Sphären.
Gerade diese Tracks zeugen davon, wie sehr Damon Albarn beim Komponieren die isländische Landschaft inspiriert hat. Ursprünglich sollte „The nearer the Fountain, More Pure the Stream Flows“ ein langes, orchestrales Werk werden. Dass nun elf eigenständige Songs daraus hervorgegangen sind, ist der Pandemie geschuldet. Damon Albarn konnte sein Projekt nicht, wie geplant, mit dem Ensemble Stargaze in seiner Wahlheimat Island – neben der britischen hat er die isländische Staatsbürgerschaft angenommen – beenden, sondern zog sich ohne die zwölf klassisch ausgebildeten Musiker:innen in sein Studio in Devon zurück.
So entstanden Lieder, die auch live höchstens zum leisen Mitsummen animieren oder eben bloß zum Zuhören. Das ist besinnlich, nein, besser: sinnlich. Die Geigen zuckern nämlich nie herum. Auch der Bassist Seye Adelekan weiß, wie man mit durchaus kantigen Texturen gegen den Easy-Listening-Effekt ansteuern kann. Damon Albarn selbst wagt sich selten aus der Deckung. Mit ernster Miene fokussiert er sich völlig auf seinen Gesang und sein Klavierspiel. Bis er sich eine kleine Kinderei an der Melodica gönnt.
Dieses Instrument passt ziemlich gut zu ihm. Obwohl Damon Albarn einen grauen Anzug über seinem T-Shirt trägt, hat er eine recht jungenhafte Ausstrahlung. Irgendwie glaubt man in ihm noch immer jenen Musiker zu sehen, der seine Band Blur in den neunziger Jahren hauptsächlich mit eher unbedarften Titeln wie „Country House“ in die Oberliga des Britpops katapultierte.
Mit solchen Hits will sich Damon Albarn an diesem Abend allerdings nicht präsentieren. Einzig mit „Strange News from Another Star“ schlägt er in der Zugabe noch mal einen Bogen zu Blur, bevor das Konzert nach etwa 75 Minuten endet. Irgendwie schade! In anderen Städten bot Damon Albarn noch Hits wie „Beetlebum“ oder Stücke seiner Band Gorillaz auf, in Hamburg nicht. Dabei hätte er gerade mit „Song 2“, der Torhymne des FC St. Pauli, die Elbphilharmonie richtig zum Beben bringen können.
Obgleich er diese Chance nicht nutzt und außer „Danke!“ kein Wort sagt, verabschiedet ihn das Publikum am Schluss mit Standing Ovations. Eine Frau schenkt ihm eine rote Blume. Dieses Bild bleibt ebenso in Erinnerung wie der Weltschmerz und die Traurigkeit, die sich durch die Songs ziehen. Themen wie Verlustängste oder Zerbrechlichkeit passen halt perfekt in die Gegenwart.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste