Dachbegrünung fördert Biodiversität: Grüne Biotope hoch oben in der City
Wie eine amerikanische Biologin auf Berliner und Neubrandenburger Dächern nach der grünen Stadt der Zukunft sucht.
NEUBRANDENBURG taz | Kelly Ksiazek stapft über den trockenen Rasen auf einem Neubrandenburger Hochschuldach. Unter ihren Füßen Gräser, Kräuter und Blumen, die auch im Hochsommer der Trockenheit in der prallen Sonne, hoch über den Dächern der mecklenburgischen Stadt, widerstehen können.
Die junge Wissenschaftlerin aus Chicago hat hier auf dem Dach eines Einkaufszentrums der Stadt und noch auf acht weiteren Gebäuden in Berlin Fallen aufgestellt: im Grunewald und am Alex. Kellys Fallen sind mit bunter Flüssigkeit gefüllte Marmeladengläser. Selbst erfunden und gebaut.
„In Deutschland gibt es gute, brauchbare Gründächer“, erklärt die Pflanzenbiologin und Naturschützerin. „Bis jetzt weiß ich noch nicht, ob es zwischen den beiden Städten einen Unterschied gibt. Aber es scheint so, dass die größeren Unterschiede in Pflanzen- und Tierwelt eher von der Beschaffenheit des Dachs als vom Standort abhängen.
Obwohl Berlin eine größere Stadt ist, gab es dort einige Gründächer mit einer großen Vielfalt an Pflanzen und Tieren“, resümiert die Forscherin ihre Arbeit in Deutschland.
Insektenfallen verteilte Kelly Ksiazek unter anderem auf den Dächern der Neubrandenburger Hochschule, dem Marktplatz-Center der mecklenburgischen Stadt, in Berlin auf der Mensa Nord der Humboldt-Uni, der ufa-Fabrik, der Heinrich-Roller-Schule in Prenzlauer Berg, auf zwei Gebäuden der Berliner Wasserbetriebe und dem Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin e. V. am Teufelssee. Insgesamt hatte sie 13 Dächer als Forschungsgegenstand.
Die Biologin arbeitet an mehreren Projekten mit: So an einer „Prärie-Simulation“, um Regenwasser zu sammeln, um damit Gebäude zu kühlen und heimische Insekten anzulocken. Ein anderes Projekt untersucht, woher die Pollen kommen. Kommen sie nur von anderen Pflanzen auf dem Dach? Oder auch von Pflanzen, die sich auf dem Boden befinden? So soll die Verbindung von Gründächern und urbanen Parks und Gärten erforscht werden. Eine weitere Studie wird die Ergebnisse aus Neubrandenburg und Berlin nutzen, um Vorhersagen zu treffen, wie sich die Pflanzenwelt auf „jüngeren“ Gründächern mit der Zeit in den USA ändern wird.
http://www.gruendach-mv.de/ ist an der Neubrandenburger Hochschule angesiedelt und betreibt seit den 1980er Jahren wissenschaftliche Studien über Gründächer. Führender Wissenschaftler ist Professor Manfred Köhler vom Fachbereich Landschaftswissenschaften und Geomatik mit dem Fachgebiet Landschaftsökologie und Vegetationskunde. Er hat die amerikanische Doktorandin bei ihren Forschungen in Deutschland unterstützt.
Ein internationales Gründachsymposium findet am 13. Februar 2014 in Ditzingen bei Stuttgart zum 12. Mal statt. Dieses Symposium befasst sich unter anderem mit einem neuen wissenschaftlichen Leitfaden zur Dach- und Fassadenbegrünung, der Grauwassernutzung in Verbindung mit Dachbegrünung, geeigneten Pflanzen für Extensivbegrünungen in Schattenlagen, Biodiversität begrünter Dächer sowie der Rolle der Dachbegrünung beim nachhaltigen Bauen.
Daheim in Chicago hat die Doktorandin 2011 ein Buch mit dem Titel: „Sex in the City“ publiziert. Untertitel: „Eine Beurteilung der Bestäubung auf begrünten Dächern in Chicago“. Wonach sucht die Wissenschaftlerin über deutschen Dächern und daheim in der US-Metropole?
Die Biologin konnte im Sommer 2013 im Rahmen eines akademischen Austauschprogramms mit ihren Fallen auf deutschen Dächern in Erfahrung bringen, was hoch oben über deutschen Städten überhaupt kreucht und fleucht. Neben Käfern und Insekten interessieren die junge Wissenschaftlerin besonders die zu den Hautflüglern gehörenden solitär lebenden Wildbienen. Um mehr über diese Nützlinge und ihre Verwandten zu erfahren, hatte sie sich in Neubrandenburg mit Johann-Christoph Kornmilch in luftiger Höhe verabredet.
Mensch und Biene
Der Biologe vom Zoologischen Institut der Universität Greifswald gilt als der Bienenexperte in Mecklenburg-Vorpommern schlechthin. „Früher gab es eine Allianz zwischen Mensch und Biene“, ist er überzeugt. Die Bienen und andere nützliche Insekten hätten lange sogar vom menschlichen Handeln profitiert. „Durch die Urbarmachung und Öffnung der Landschaften haben viele Arten erst durch die Urbanisierung in Mitteleuropa einen Lebensraum gefunden“, weiß der Bienenspezialist zu berichten. Vorher gab es vor allem an Flussufern, Hängen und zwischen Felsgeröll Nist- und Brutplätze für die Einzelbienen und Wespen.
Doch in seiner „Umgestaltungswut“ sorgt der Mensch inzwischen längst dafür, dass Primärlebensräume vieler Insekten verschwunden sind oder immer knapper werden. Die unterschiedlichen Bienen leisten für den Menschen aber weit mehr als die Honigproduktion der kultivierten und domestizierten Bienenvölker der Imker, gibt Kornmilch zu bedenken.
Zu den Ökosystemdienstleistungen – einem sehr sperrigen Wissenschaftsbegriff – gehöre zu allererst die Bestäubung. „Etwa ein Drittel aller unserer Lebensmittel gäbe es ohne Insekten nicht“, hebt er die Leistung auch der Wildbienen, Hummeln und Wespen hervor.
Deutsche und französische Wissenschaftler haben errechnet: Durch das Fehlen von bestäubenden Insekten würde der Menschheit ein wirtschaftlicher Verlust von 190 bis 310 Milliarden Euro pro Jahr entstehen. Auch weil ein solcher wirtschaftlicher Wert noch kaum anerkannt wird, setzen sich Biologen und Ökologen wie Kornmilch und Ksiazek für die Artenvielfalt in Stadt und Land ein.
Nicht nur Honigbienen
Ksiazeks Gründachforschung beschäftigte sich nicht expliziert mit Honigbienen, eher mit ihren wilden Schwestern. Auch wenn Bienenvölker wegen ihres Honigs inzwischen immer öfter auch von urbanen Imkern gehalten und auf Gründächer hoch über Ballungszentren ausgeschickt werden: „Sie sind nur eine Bienenart, die in den Städten vorkommt“, kann die Forscherin bereits jetzt sagen.
Sie habe mehr als 50 verschiedene Bienenarten auf den Gründächern ihrer Studie nachweisen können und schlussfolgert: Wenn viele verschiedene Arten von Blütenpflanzen, die Nektar und Pollen produzieren, Dächer begrünen, würde das auch vielen der anderen Bienenspezies helfen – nicht allein den Honigsammlern.
Kelly Ksiazek aus Chicago entwirft mit ihren Forschungen eine Visionen von „grünen Zukunftsstädten“. Denn die begrünten Dächer sind nicht nur für den Menschen eine gute Sache. „Solche Dächer können fast perfekt eine Prärielandschaft ersetzten, die anderenorts der Mensch den Insekten entfremdet oder zerstört hat“, hofft die Ökologin.
Einen Sommer lang konnte sie akribisch Daten über Pflanzen, Böden, Umgebung und Insekten auf den Gründächern von Neubrandenburg und Berlin zusammentragen. Jetzt arbeitet Kelly Ksiazek daran, einen Großteil der Insekten zu identifizieren, um mehr darüber zu verstehen, welche Arten von Tieren Gründächer nutzen und von ihnen profitieren.
Bisher hat sie zum Beispiel herausgefunden, dass viele Pflanzen- und Insektenspezies von ganz alleine auf die Dächer gelangen. Auf einigen waren über die Hälfte der Pflanzen ursprünglich nicht vom Menschen gepflanzt worden, konnte sie feststellen.
„Bis jetzt weiß ich aber noch nicht, welche Faktoren für die Pflanzen oder Tiere, die sich hoch oben ansiedeln, eine Rolle spielen.“ Allerdings sehe es danach aus, dass die Art und Tiefe der Böden auf den Dächern, sowie die Menge der Sonneneinstrahlung die Pflanzenwelt beeinflussen. Die wiederum hat entscheidenden Einfluss auf die vorkommenden Tiere hoch über den Städten. „Ich freue mich jetzt darauf, daheim einen genaueren Blick auf die Daten zu werfen, an meiner Universität in Chicago.“ Inzwischen hat die Wissenschaftlerin ihre Koffer in Deutschland gepackt.
Biologische Vielfalt
Gründächer könnten von vielen Pflanzen und Tieren genutzt werden, die sonst keinen Lebensraum oder keine Ressourcen – etwa Insektennahrung – in den Städten finden. Kellys Forschungen helfen Ökologen, Stadtplanern und Architekten zu verstehen, welche Arten und Formen von Gründächern dazu beitragen, die Artenvielfalt zu steigern und somit die gesamte urbane Biodiversität in unmittelbarer Nachbarschaft des Menschen zu erhöhen.
Es gibt viele Pflanzenarten, die eine trockene oder felsige Umgebung gut vertragen und die damit für Gründächer geeignet wären. Und natürlich auch Tiere, die es vorziehen, in heißer, trockener Umgebungen oder auf sonnenüberfluteten Flächen zu leben. „Die würden auch Gründächer mögen“, ist sich Kelly Ksiazek nach ihrem Sommer in Berlin und Neubrandenburg sicher.
Die Ökologen sprechen von „Nahrungsnetzen“, in denen eine Reihe von interagierenden Organismen, die aufeinander als Nahrung angewiesen sind, miteinander in Beziehung stehen. Normalerweise können mehr Pflanzen auch mehr Insekten oder Mollusken – wie Schnecken – ernähren, die wiederum mehr Vögel und Reptilien ernähren können. So wird das gesamte Nahrungsnetz größer.
Doch nicht jedes Gründach sei in der Lage, sagt Kelly Ksiazek, ein großes Nahrungsnetz zu versorgen. Einige können es aber gut, insbesondere wenn sie mit dieser Idee im Hinterkopf designt und gebaut werden. In Deutschland fand sie solche Dächer, die schon 20 oder sogar – wie in Berlin – 50 Jahre alt sind.
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