DVD: Anfang und Ende am Fernsehturm

Mit "Jonas" suchte Ottomar Domnick 1957 den Anschluss an die internationale Avantgarde. Sein Großstadt-Drama ist von der Moderne fasziniert, auch wenn er sich im Off-Kommentar kulturkritisch gibt.

Völlig durchschnittliche Titelfigur: Jonas (Robert Graf). Bild: verleih

Ottomar Domnick war als Nervenarzt Leiter einer Klinik, er war Kunstsammler und Veranstalter von Cello-Konzerten, außerdem Autofahrer mit Rennleidenschaft und alles in allem ein bestens situierter Großbürger mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein. Das Außergewöhnliche ist nur: Ottomar Domnick war in all seinen Leidenschaften und Tätigkeiten ein bedingungsloser Anhänger der Nachkriegsmoderne. Er sammelte seit den Fünfzigerjahren Kunst von Willi Baumeister und Wolf Vostell, er lud große Cellospieler zu Konzerten zeitgenössischer Musik in seine fast fensterlose Betonvilla mit Skulpturenpark, die er sich 1967 hatte mitten ins Grüne auf der Schwäbischen Alb bauen lassen.

Domnick suchte, kurz gesagt, vom ersten Nachkriegsjahrzehnt an auf allen Gebieten der Kunst den vom Nationalsozialismus brutal abgeschnittenen Anschluss an die internationalen Avantgarden; in Kunst und Musik fand und pflegte er diese Anschlüsse und im Film, wo es in Deutschland dergleichen so gut wie gar nicht gab, stellte er sie dann eben eigenhändig her. Ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Do-it-yourself-Avantgarde ist der Film "Jonas", den Domnick im Jahr 1957 auf der Berlinale vorstellte. Als Filmemacher war Domnick Autodidakt, ließ sich allerdings von Herbert Vesely beraten. Der hatte immerhin ein paar recht experimentelle Kurzfilme gedreht und gehörte später mit der in Cannes gezeigten Böll-Verfilmung "Das Brot der frühen Jahre" zu den Begründern des "Neuen Deutschen Films".

Domnicks primäres Interesse gilt nicht der erzählten Geschichte - sie ist recht schlicht und das Element, das am wenigsten aus der Verhaftung in einer vergangenen Zeit zu retten ist. Jonas (gespielt von Robert Graf, dem Vater des Regisseurs Dominik Graf), die völlig durchschnittliche Titelfigur ohne Nachnamen, kauft einen Hut, der ihm bald darauf gestohlen wird. Daraufhin stiehlt Jonas einen Hut und wird in der Folge von Schuldgefühlen geplagt, die sich zu Verfolgungs-, gar Lagerfantasien steigern. Herbert Vesely hat später geschimpft, das Ganze sei so, "wie ein Spießer sich Kafka vorstellt", und er hat, was diese Hutgeschichte betrifft, nicht ganz Unrecht damit. Das eigentlich Problematische daran sind allerdings die aus dem Off an Jonas gerichteten Texte. Die Textcollagen schneiden arg forciert pathetische Existenzialismen und Bibelzitate und betont nüchterne Werbe- und Sachtexte gegeneinander. Verfasst hat sie übrigens der junge Hans Magnus Enzensberger, damals Redakteur beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart.

Was zählt und das eigentlich Interessante ist an Domnicks Film, ist sehr viel eher der Impetus, alle filmerzählerische Konvention in der Darstellung der Fünfzigerjahregegenwart hinter sich zu lassen. In seinen Schnitten, Montagen und Bildern zeigt sich "Jonas" von genau jener Moderne fasziniert, die im Pathos der Offstimme mit kulturkritischen Schlagwortgemeinplätzen immer wieder attackiert wird. Es ist kein Zufall, dass der Film mit Aufnahmen des Stuttgarter Fernsehturms beginnt und endet, der im selben Jahr wie der Film fertiggestellt wurde und den neuesten Stand der Architektur wie der Medientechnik verkörperte. Vorzugsweise rücken Jonas und sein Kameramann Andor von Barsy Nachkriegsbauten, kahle Gänge, Straßenbahnstromkabel, Maschinen und Autos ins Bild, nicht selten zum anonymen Eindrucksstakkato geschnitten. Die Kamera folgt in ihren Bewegungen abstrakten Linien, präferiert Totalen und Schrägen von oben.

Der unbedingte Wille zum Experiment führt manchmal zu Widersprüchen zwischen neusachlicher Nüchternheit und Hell-dunkel-Expressionismen. Das Ergebnis ist dennoch verblüffend: Stuttgart entspricht in seinem Auftritt so gar nicht den Filmbildklischees der deutschen Fünfzigerjahre.

Ihr Übriges tut die Musik, die teils von Duke Ellington stammt, teils ein vom Neutöner Winfried Zillig komponierter Originalsoundtrack ist, und die wie der Film insgesamt das Dissonante des Großstadtlebens herausstreicht. Ottomar Domnick hat nach dem damals viel beachteten "Jonas" eine Reihe weiterer Filme gedreht, die derzeit nicht auf DVD greifbar sind. Dafür gibt es als Bonus auf der DVD die bei aller Eitelkeit faszinierende Selbstbefragung "Domnick über Domnick" aus dem Jahr 1979, die zu sehen unbedingt lohnt.

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