DIE WIRTSCHAFTLICHE LAGE IST ZWAR ERNST – KATASTROPHAL IST SIE NICHT: Die Enttäuschung falscher Hoffnungen
Die fetten Jahre sind vorbei. Wobei sie, gemessen am Wirtschaftswachstum in Deutschland, gar nicht besonders fett waren. Selbst in der Hochzeit der New Economy zwischen 1995 und 2000 lag die durchschnittliche Zunahme des hiesigen Bruttoinlandsprodukts (BIP) nur bei 1,8 Prozent. Vor diesem Hintergrund relativiert sich die verbreitete Einschätzung der gegenwärtigen ökonomischen Lage. Das Land erlebt keine „massive Wirtschaftskrise“, wie der grüne Parteichef Fritz Kuhn sie an die Wand malt. Die Katastrophe herrscht in Argentinien, nicht in Deutschland.
Die psychologische Amplitude schlägt sowohl im Aufschwung als auch im Abschwung weit stärker aus als die der Realwirtschaft. Selbst wenn in den beiden Winterquartalen zwischen Oktober 2002 und März 2003 die Wirtschaftsleistung leicht zurückgehen sollte, wie manche Ökonomen das nun vermuten, wäre diese kleine Rezession an sich kein Drama. Denn im Vergleich zum Vorjahr steigt die Wirtschaftsleistung der gesamten Gesellschaft auch 2002 wieder an. Zwar nur um rund 0,5 Prozent, aber immerhin.
Das eigentliche Problem liegt nicht so sehr in der ökonomischen Entwicklung als in der Umgehensweise, die die Politik an den Tag legt. Keine relevante Gruppe der politischen Elite ist tatsächlich bereit, ihr Handeln auf eine realistische Basis zu stellen. Diese würde beinhalten, die Wachstumshoffnung auf das Erwartbare zu reduzieren. Das Niveau des Wohlstandes wird im kommenden Jahrzehnt eben nicht mehr wesentlich ansteigen, sondern da bleiben, wo es heute ist. BIP-Steigerungen von über zwei Prozent dürften der Vergangenheit angehören.
Das bedeutet, die öffentlichen Haushalte auf diese Situation einzustellen, ebenso die Finanzierung der Sozialsysteme. Gesellschaftliche Gruppen wie Erwerbslose und Gewerkschaften werden ein gewisses Maß an Deregulierung, also Beschneidung des gegenwärtigen Standards an sozialer Sicherheit, ertragen müssen. Das gilt aber auch für die andere Seite.
Wenn sich Lobbyverbände und Autokonzerne darüber aufregen, dass die Besteuerung von Dienstwagen ein halbes Prozent angehoben wird, haben sie nichts von der Welt verstanden.
Begriffe wie „Notgesetze“ und „Notstand“ sind völlig verfehlt. Es geht darum, ein neues soziales Gleichgewicht unter den Bedingungen ökonomischer Stagnation in einer sehr reichen Gesellschaft zu finden. Einen wirtschaftlichen Zusammenbruch gibt es nicht – höchstens die Enttäuschung falscher Hoffnungen. HANNES KOCH
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