DIE WAHRHEIT: Feuerwerk der Fadheit
Gedenkmarathon: Leipzig bereitet sich auf das Jubeljahr 2013 vor.
Als in London jüngst wieder einmal zahllose olympische Rekorde verfehlt wurden, freuten sich die Berichterstatter vor allem über die am besten organisierten, fröhlichsten, sonnigsten, kurz: die britischsten Spiele aller Zeiten. Überraschenderweise war am Rande dieses Sportevents mehrmals von einer Stadt die Rede, die außerhalb ihrer Grenzen kaum jemand kennt.
Dennoch erinnerten sich plötzlich ein paar Hauptstadtjournalisten des beschaulichen Städtchens 200 Kilometer südlich von Berlin und witterten eine mittelmäßig interessante Story mit überschaubarer Benzinrechnung für die Recherche. Sie fuhren nach Leipzig, um ihrem Publikum in Erinnerung zu rufen, dass diese Spiele doch eigentlich hier hätten stattfinden sollen.
Zumindest nach Ansicht der Leipziger, die auch der Meinung sind, ihre Stadt sei das neue Berlin, verfehlte Leipzig bei der Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 gemeinsam mit der „Sportstadt“ Riesa nur hauchdünn gegen schlappe Mitbewerber wie Madrid, Paris, Moskau, New York oder eben London den Zuschlag.
Die überschaubare Größe Leipzigs wurde in der Selbstdarstellung einfach zu einem der ebenso überschaubaren Standortvorteile erklärt. Als dann die Niederlage für die „Stadt der kurzen Wege“ bekannt gegeben wurde, fielen die Leipziger aus allen Wolken. Doch der jahrelangen Wut über diese Entscheidung folgte ein trotziges: „No und, Haubdsoche, mor bleibd üm Göschbräsch“.
Nun steht der Kleinmessestadt erneut Großes bevor. Zum 200. Jubiläum der Völkerschlacht, die der Welt immerhin zehntausende von Opfern und der Stadt ihr hässlichstes Bauwerk bescherte, soll mit einem Feuerwerk von Veranstaltungen und Festen an jene blutigen Tage im Oktober 1813 erinnert werden. Eine Übermacht von Preußen, Russen und zahlreichen weiteren Armeen zwangen damals Napoleon in die Flucht, die Leipziger selbst warteten mit den Siegesfeiern, bis ganz sicher feststand, wer den Krieg für sich entscheiden würde.
Unter dem geistreichen Motto „Starke Geschichte mit Zukunft“ wird nun ein „Doppeljubiläum“ begangen. Das Völkerschlachtdenkmal wurde nämlich erst ein Jahrhundert später zum 100. Jahrestag der Völkerschlacht eröffnet – Grund genug, nun dessen runden Geburtstag gleich mitzufeiern.
Der von den Leipzigern liebevoll „Völki“ genannte Koloss sieht nicht nur grässlich aus, sondern ist auch die erste Anlaufstelle für Suizidwillige aus der Region und Kulisse für Nazis aus ganz Europa, die dort gern Kundgebungen mit altmodischen Fahnen abhalten. Wer die Besteigung des fast 100 Meter hohen Bauwerks wagt, kann froh sein, wenn er die obere Plattform überhaupt erreicht und nicht schon vorher auf der engen Wendeltreppe an einem durch Panik ausgelösten Herzinfarkt stirbt.
Immerhin führt der Weg durch Beine, Arme und andere Körperteile der im oberen Teil eingearbeiteten Opferstatuen und wird enger, je höher man steigt. Vermutlich mischen sich längst echte Gebeine von im Tunnel stecken gebliebenen und verhungerten Besuchern mit dem grausigen Gemäuer.
Doch anstatt den Jahrestag zum Anlass zu nehmen, den düsteren Klotz endlich abzureißen, ließen die Leipziger ihn noch einmal sanieren und weihen bald ganz in der Nähe noch ein riesiges Rundgemälde ein, das das Gemetzel aus der Perspektive der Innenstadt so erlebbar wie nie zuvor machen soll.
Wem die große Gedenkparty 2013 und die dazugehörigen Monumente noch nicht groß genug sind, der kann schon in wenigen Jahren das neue Freiheitsdenkmal besichtigen, zu dem einer der größten Plätze Leipzigs umfunktioniert wird. An der südlich gelegenen Station des neuen S-Bahn-Tunnels wird ein gigantischer Teppich aus bunten Quadraten verlegt, auf dem dann die sogenannten Freiheitseimer lose abgestellt werden.
Dabei handelt es sich um 70.000 farbenfrohe bunte Leichtmetallwürfel, die mitgenommen und als Idee der Freiheit in die Großraumbüros der Welt oder zumindest Sachsens getragen werden sollen. Die Leipziger freuen sich schon riesig auf die Eröffnung, denn immer, wenn etwas kostenlos oder sonstwie nicht festgeschweißt ist, kennen sie nur ein Motto: so viel wie möglich mitnehmen und den Rest auf die S-Bahn-Gleise werfen.
Immerhin ist es eine schöne Idee, in dieser Stadt, die um die Nikolaikirche herum schon drei Denkmäler für die „friedliche Revolution“ besitzt, noch ein „Denkmal to go“ zu errichten. Das Einzige, was der Stadt jetzt noch fehlt, ist ein möglichst hohes Monument zum Gedenken an die versuchte Olympiateilnahme 2012. Und ein paar befahrbare Straßen.
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