DIE VERFASSUNGSKLAGE DER ALLEINERZIEHENDEN KANN ERFOLG HABEN: Avantgarde gegen das Ehegattensplitting
„Ich bin kein Single“, sagen Alleinerziehende in einer bundesweiten Aktion. Sie wehren sich dagegen, dass sie künftig wie Kinderlose besteuert werden sollen. Heute reichen sie in Karlsruhe sogar massenhaft Verfassungsbeschwerden ein. Am Ende wird die Aktion erfolgreich sein – ob politisch oder juristisch, das wird sich noch zeigen.
Wie bei jeder Lobbyaktion wird natürlich zugespitzt. Denn selbstverständlich bekommen Alleinerziehende viele Vergünstigungen, die Kinderlose nicht erhalten. Da ist das frisch erhöhte Kindergeld und da sind – für die Besserverdienenden – die neuen Freibeträge für Betreuungs- und Erziehungsleistungen. Doch was für verheiratete Eltern eine Verbesserung darstellt, bringt den Alleinerziehenden unter dem Strich eine Verschlechterung – sie verlieren gleichzeitig ihren Haushaltsfreibetrag. Das passt nicht in eine Zeit, in der Deutschland endlich kinderfreundlich werden will. Schuld an der Misere ist das Bundesverfassungsgericht. Bis 1998 galt der Haushaltsfreibetrag als Ausgleich für das Ehegattensplitting, das ledige Eltern nicht bekommen können. Jetzt aber hieß es in Karlsruhe, beides habe nichts miteinander zu tun. Das Splitting helfe schließlich auch Ehen ohne Kinder.
Faktisch haben die Alleinerziehenden jetzt in Karlsruhe Klage gegen ein Karlsruher Urteil eingelegt. Das klingt absurd, hat aber Erfolgsaussichten. So könnte das Gericht dem Gesetzgeber nahe legen, das Splitting abzuschaffen oder deutlich abzusenken. Denn wenn das Ehegattensplitting nun gar nichts mehr mit Kindern zu tun hat, dann können die Milliarden auch besser verwandt werden – etwa für mehr Kindergeld und mehr -betreuung.
Trotz vieler Ankündigungen ist in Berlin noch nichts passiert. Ohne Karlsruhe traut sich Rot-Grün einen solchen Schritt offensichtlich nicht zu. SPD und Grüne denken lediglich über neue Detailverbesserungen für Alleinerziehende nach. Einelternfamilien sollten sich aber weiter für die große Strukturreform einsetzen. Denn wer, wenn nicht sie, verkörpert den gesellschaftlichen Wandel, der eine Abkehr vom Ehegattensplitting zwingend erforderlich macht? CHRISTIAN RATH
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