: DIE LIEBLINGSHEMDEN
■ Die japanische Räuberpistole „Untamagiru“ im Arsenal
Es kann gar nicht anders sein: Go Takamine, Regisseur und Autor des japanischen Spielfilms Untamagiru muß den Darstellern seines Räubermärchens erlaubt haben, in ihren liebsten Freizeithemden zu schauspielern. Also haben sie sich mit bunten Blumenmustern geschmückt, exotisch, asymmetrisch und wild, oder mit amerikanischen Mickey-Mäusen und Smileys. So sind es die eindeutigen Nachkommen der japanisierten und amerikanisierten Kultur auf der Insel Okinawa, die uns die Legende von der Wiederkehr der alten Helden der Insel erzählen. Takamine kommt es nicht auf die authentische Rekonstruktion eines historischen Moments an, sondern auf die Virulenz und Zähigkeit eines Traums, der sich in seiner äußeren Gestalt der fremdbestimmten Kultur anpaßt, in seinem archaischen und widerständigen Kern aber inkommensurabel bleibt.
Okinawa, im neunzehnten Jahrhundert von den Japanern annektiert und am Ende des Zweiten Weltkriegs von den Amerikanern erobert, die den Inselkomplex als militärischen Stützpunkt in den Korea- und Vietnamkriegen nutzten, wurde 1972 an Japan zurückgegeben. Die Autonomie Okinawas sei nur ein Märchen, verkündet der amerikanische Hochkommissar im Film, der kurze Zeit vor der Heimkehr ins Reich spielt. Also hat sich Takamine, selbst auf einer der Inseln der Präfektur Okinawas geboren, entschlossen, uns dieses Märchen zu erzählen und die kulturelle Identität Okinawas aus seinen Legenden zu begründen.
Verkehrung der Verhältnisse: Der Sohn nährt die Mutter. Der Held Giru, Arbeiter auf einer Zuckerrohrplantage, baut für seine Mutter, die an Freßsucht leidet eine Honigpumpe, um sie im Schlaf mit Ameisenhonig zu versorgen. Allein schon das Melken der Ameisen, die in einem schrundigen Wurzelstrunk leben, mutet uns wie eine uralte und längst verloren gegangene Kunst an. Girus Schwester, Chiru, forscht mit dem Hörrohr eines Arztes nach verborgenen Wahrheiten in den Leibern kleiner blauer Ziegen und sagt den Lauf der Geschichte voraus. Girus Freund, der langbezopfte Baumgeist Andaque, führt einen Karatetanz auf, bei dem er sich, mit zwei krummen Messern, die ihm um die Handgelenke und den Hals wirbeln, tausend Tode beizubringen scheint und doch wunderbar unverletzt bleibt. Mit diesen kleinen phantastischen Episoden durchlöchert Takamine das gewohnte Bild der Wirklichkeit und verführt uns, der Magie zu vertrauen.
Nishibaru, Chef der Zuckerrohrplantage, selbst blind, aber von einer alten Seherin begleitet, fährt als kleiner Mussolini im riesigen Straßenkreuzer vor, um mit chauvinistische Reden seine Arbeiter anzutreiben. In der schönen rosigen Malley, Nishibarus bestgehütestem Schatz, verkörpert sich der Geist eines unersättlichen Schweins, dessen Liebhaber leider mit dem Tode bestraft werden. Durch seine verbotene Liebe zur molligen Malley wird Giru zur Flucht in den Zauberwald gezwungen und beginnt dort ein edles Räuberleben zu Gunsten der armen Bauern, die für die Unabhängigkeit Okinawas kämpfen. Er schenkt ihnen so lebensnotwendige Dinge wie neue Unterhosen, damit sie am Tag seiner dramatischen Verherrlichung frisch und sauber ins Theater kommen können. In Giru erleben die Okinawas die Wiedergeburt ihres archaischen Helden „Untamagiru“ als Comic -Figur. Takamine schreckt vor keinem Mittel zur revolutionären Stilisierung seines Helden zurück: Da sitzen Girus Genossen auf dem Schrottplatz und schmettern die Internationale in Okinawa-Dialekt.
Untamagiru, im Arsenal mit deutschen Untertiteln aufgeführt, läuft in Japan mit japanischen Schriftzeichen; der Okinawa-Dialekt, in der Struktur dem alten Japanisch verwandt, wird gesprochen von den Japanern nicht mehr verstanden. Unter der japanischen Herrschaft des neunzehnten Jahrhunderts war diese Sprache verboten und überlebte nur in der Tradition des Okinawa-Theaters. An dieses in die Kunst hinübergerettete Fossil einer eigenen Kultur knüpft Takamine an.
Takamine hat seine eigene Rolle als Regisseur verdoppelt. Er läßt lange Passagen der Untamagiru-Legende von den Kunden eines Friseurladens singen und spielen. Der alte Barbier, dessen Friseurstuhl wie ein technologischer Fremdkörper mitten im Dschungel steht, ist zugleich der Regisseur der Watanabe-Schau, die in Spottliedern über den amerikanischen Komissar und den Ausbeuter Nishibaru herziehen. So ist die Realität der zwischen zwei fremden Kulturen um ihre Identität bemühten Okinawas von Erinnerungen und Phantasien durchsetzt, die eine eigene Macht gewinnen. Ironisch wenden sie die Geschichte ihrer Niederlage in ein neues Kapitel des Epos von ihrem unbesiegbaren Helden.
Doch gerade in der Beschwörung der Eigenständigkeit Okinawas folgt Untamagiru auch einem sehr japanischen Mythos, denn die Insel wurde zu einem bevorzugten Schauplatz der Träume. Während die realen Besatzungen die alten Traditionen zerstörten, wuchsen die Ausmaße eines imaginierten Okinawas, Hüterin der Märchen. Typisch japanisch erscheint für uns auch die Verbindung von Kunst und Kommerz, durch die die Realisierung des Films möglich wurde. Untamagiru gilt als Produkt des sogenannten unabhängigen japanischen Kinos; der Film wurde von Parco, einer japanischen Kaufhauskette, produziert, die damit ihr Engagement für die Kunst beweisen will.
Katrin Bettina Müller
„Untamagiru“ von Go Takamine, vom 21. bis zum 24. April, jeweils um 22.15 Uhr im Arsenal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen