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DIE GRÜNEN HABEN EINE BEDENKENSWERTE IDEE VOREILIG VERKÜNDETKlischee „Niedriglohn“

Es gibt ein paar Begriffe, die man nur dann in eine politische Diskussion bringen sollte, wenn man vorher über die Folgen nachdenkt. Vielleicht hat es der grüne Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch gestern irgendwann mal bereut, dass er in einem Interview vollmundig verkündete: „Wir wollen, dass Unternehmer mit ihren Betriebsräten auch Verträge abschließen können, die eine Entlohnung unterhalb des Tarifvertrags vorsehen.“ Die Konsequenzen waren vorauszusehen: Von „Niedriglohnplänen der Grünen“ sprach die Boulevardpresse. „Grüne jetzt Lohnkürzungspartei Nr. 1“ polemisierte die PDS.

Diese Polemik hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Denn der Vorschlag, der ursprünglich von den grünen Sozial- und Wirtschaftspolitikerinnen Dückert und Wolf ins Gespräch gebracht wurde, sieht lediglich vor, dass Betriebe in Not mit ihrer Belegschaft leichter Vereinbarungen über temporäre Lohnkürzungen treffen können. Juristisch ist der Vorstoß unausgegoren, wie selbst Arbeitsrechtskenner innerhalb der Grünen aufstöhnen („Hätten die das bloß nicht gemacht!“): In tarifgebundenen Betrieben ist ein Abweichen nach unten vom Tarifvertrag nur möglich, wenn entsprechende Öffnungsklauseln existieren und die Gewerkschaft zustimmt; im Gegenzug für den Lohnverzicht gibt es in der Regel eine Beschäftigungsgarantie.

Würde man das so genannte Günstigkeitsprinzip nun erweitern, könnten auch Betriebe, deren Tarifverträge keine Öffnungsklauseln haben, zeitweilig geringere Löhne zahlen, wenn sich das Unternehmen in Not befindet und im Gegenzug die Jobs sichert. Dann aber stellt sich die Frage, wer diese Löhne vereinbart: Die Betriebsräte dürfen laut Tarifvertragsgesetz keine Lohnabreden treffen. Wenn das einzelvertraglich mit den Arbeitnehmern passiert, wären jedoch der Willkür Tür und Tor geöffnet. Der grüne Vorschlag, der einem Vorstoß der Arbeitgeber ähnelt, dürfte wegen dieser Ungereimtheiten wohl schnell wieder in der Versenkung verschwinden.

Doch damit ist noch nichts gesagt über die Aufregung, die der Vorschlag verursacht hat. Dückert und Wolf legen nämlich auch den Finger auf eine Wunde: Tatsächlich gibt es in hunderten von Not leidenden Betrieben schon Absprachen, nach denen die Beschäftigten länger arbeiten, ohne mehr Geld zu bekommen. Dass es für diese Grauzonen keine politischen Verhandlungsebenen gibt, ist das Problem. Mit Klischees von „Niedriglöhnen“ ist dem nicht beizukommen – aber eben auch nicht mit unfertigen Vorstößen der Grünen.

BARBARA DRIBBUSCH

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