DIE GRIECHISCHE TERRORGRUPPE „17. NOVEMBER“ IST ANACHRONISTISCH: Ende eines Politikums
Die Terrorgruppe, die sich „Revolutionäre Organisation 17. November“ nannte, war auch für Griechenland längst anachronistisch. Europas letzte Stadtguerilla, die mit linken Ideologiefetzen ihre politische Blöße verdeckte, hat seit 20 Jahren den Bezug zur Realität verloren. Gesellschaftliche Resonanz erzielte die griechische RAF nur mit frühen Strafaktionen gegen Spießgesellen der Militärdiktatur. Danach wurden ihre Mordtaten und Anschläge so beliebig wie ihre ideologischen Ergüsse.
Spätestens mit der Ermordung von Pavlos Bakoyannis 1989 wurde die Berufung der Gruppe auf den antidiktatorischen Studentenaufstand vom 17. November 1973 zur Lüge – war der Politiker doch selbst im Widerstand gegen die Athener Junta engagiert. Ein Politikum blieb die Terrorgruppe nur, weil sie mit jedem Anschlag die Unfähigkeit der griechischen Polizei bloßstellte. Die Freude vieler Griechen beim Verschwinden eines Raketenwerfers aus dem Athener Militärmuseum verdankte sich weniger der Sympathie mit dem „17. November“ als der Schadenfreude auf Kosten des Staates. Doch der war zur Reaktion gezwungen, seit er die Olympischen Spiele von 2004 am Hals hatte. Als im Juni 2000 der britische Militärattaché Stephen Saunders von den Terroristen ermordet wurde, drohten die USA, sie würden Olympia 2004 zum Sicherheitsrisiko erklären, falls der „17. November“ nicht bis 2003 zerschlagen würde. Seitdem kooperierten die Griechen mit Scotland Yard.
Dass jetzt Kommissar Zufall und die Briten zusammenwirken mussten, um die Spiele zu retten, spiegelt die griechischen Verhältnisse wider. Nachdem einem Attentäter ein Sprengsatz in der Hand explodiert war, konnte die griechische Polizei die Infrastruktur der Terroristen nur aufrollen, weil sie von ihren britischen Kollegen gelernt hat. Dass die griechische Öffentlichkeit die internationale Kooperation heute nicht mehr als „imperialistische“ Einmischung wertet, ist der letzte Beweis für den Anachronismus des „17. November“. Und vielleicht der einzige nachhaltige Wandel, den der Terrorismus in der griechischen Gesellschaft bewirkt hat.
NIELS KADRITZKE
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