DGB-Studie zur Energiewende: Wasserstoff treibt Wirtschaft an
Sollte Niedersachsen auf grünen Wasserstoff setzen? Eine DGB-Studie geht davon aus, dass der Arbeitsmarkt leidet, wenn das nicht passiert.
 
taz | Niedersachsen – weites Land, ganz viel Wind, und eine Politik, die den Bau von Windparks an Land und auf See nicht gebremst, sondern gefördert hat: Eine Zeit lang wurde dem Land dank dieser Zutaten eine goldene Zukunft gemalt. Dort, wo es viel günstige Energie gibt, so die Überlegung, könnte sich Industrie ansiedeln, so wie einst im Ruhrgebiet.
Einer der Zweige, auf den dabei viel Hoffnung gesetzt wurde: die Produktion und die Nutzung von grünem Wasserstoff, der als alternativer Energieträger helfen könnte, überflüssigen sauberen Strom länger nutzbar zu machen und als stoffliche Alternative zu Erdgas und Kohle auch der chemischen und der Stahlindustrie einen Ausweg aus ihrer treibhausgasintensiven Produktion weisen könnte.
Doch zuletzt hat der Enthusiasmus deutlich abgenommen. Die Transformation des Bremer Stahlwerks zur Wasserstofftechnologie: abgesagt, trotz großzügiger staatlicher Förderzusagen. Der Bau eines großen Elektrolyseurs in Emden durch das norwegische Unternehmen Statkraft: zurück in die Prüfphase. Selbst für die Transformation des Stahlwerks Salzgitter, an dem das Land Niedersachsen beteiligt ist, wurden weitere Investitionsentscheidungen gerade um zwei bis drei Jahre verschoben. Es gibt zahlreiche weitere gebremste oder gestoppte Wasserstoffprojekte.
Was dabei auf dem Spiel steht, versucht nun eine Studie der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung im Auftrag des DGB Niedersachsen zu bewerten. Das Ergebnis: Doch, die Wasserstoffwirtschaft bleibt wichtig – gerade auch für das Nord-Flächenland. „Niedersachsen steht mit Wasserstoff besser da“, betitelt der DGB seine Pressemitteilung zur Studie recht allgemein. Etwas konkreter wird es, wenn man sich die prognostizierten Arbeitsmarkteffekte anschaut: Rund 60.000 Arbeitsplätze stehen demnach bis 2040 für Niedersachsen auf dem Spiel.
Insgesamt geht demnach die Zahl der Jobs in Niedersachsen in den nächsten 15 Jahren zurück, auch im positivsten Szenario um rund 100.000 auf dann 4.087.000; laut Studienautorin Anke Mönnig eine simple Folge der Demografie. Ohne Wasserstoff, so die Bilanz, wären es aber noch einmal 58.000 Arbeitsplätze weniger.
Verglichen werden dabei zwei Extremszenarien. Das „Wasserstoffszenario“ geht davon aus, dass Deutschland (und mit ihm Niedersachsen) alle seine Wasserstoffziele erreicht – und sich sogar noch höhere setzt. Sehr wahrscheinlich ist das nicht, schließlich steht man heute erst bei einem Prozent des Zehn-Gigawatt-Ziels für 2030 – und während im vergangenen Jahr einige Projekte endlich final beschlossen wurden, legte man zahlreiche kleinere Wasserstoffvorhaben auf Eis.
Das Vergleichsszenario der Studie ist eine Art De-Industrialisierung Niedersachsens: Emissionsreiche Betriebe verringern ihre Produktion oder wandern komplett ab.
Dass ausgerechnet diese beiden Extreme für den Vergleich gewählt wurden, lässt sich erklären: Die Studie geht von der Annahme aus, dass Deutschland seine Klimazielverpflichtung erfüllt und wie im Grundgesetz verankert seine Emissionen bis 2045 auf null bringt. Und das funktioniert für bestimmte Industriezweige technisch nur durch die Nutzung von Wasserstoff – oder übers Abschalten. Eine dritte denkbare Alternative, die Einlagerung von Kohlenstoffdioxid, wird von der Studie für technisch (noch) nicht machbar erklärt und daher in der Analyse ausgeklammert.
Ein Vergleich beider Was-wäre-wenn-Szenarien ist damit relevant. Das Ergebnis selbst aber bleibt in Teilen etwas unkonkret und wirft Fragen auf. Der grundsätzliche Befund, dass das Wasserstoffszenario für Niedersachsen attraktiver ist als ein Abwanderungsszenario, ist selbsterklärend. Angesichts der Radikalität der beiden unterschiedlichen Zukunftsprognosen verwundert es, dass der Unterschied zwischen beiden Varianten nicht noch größer ausfällt.
Der Preis für die Transformation ist hoch
Zumal klar ist: Der Weg zum Wasserstoffausbau wird teuer. Die Studie spricht für 2040 von 61 Milliarden Euro Investitionen „pro Jahr“ (gemeint ist vermutlich: kumuliert bis 2040); 15 Milliarden Euro davon entfallen auf Niedersachsen: Mehr als die Hälfte des prognostizierten Wasserstoffausbaus sollen hier stattfinden. Auch wenn der Ausbau erreicht würde, bliebe für den Erfolg einiges zu tun. Denn damit der Wasserstoff nicht nur produziert, sondern auch genützt würde, müsste sich der Preis ändern.
Die Studie selbst stellt fest, dass diese Bedingung „voraussetzungsreich“ ist: Nach aktuellen Prognosen, auf die die Studie zurückgreift, ist selbst im Jahr 2040 fossile Energie noch günstiger als das entsprechende Wasserstoffprodukt – und das, obwohl die europäischen Emissionszertifikate fossile Energieträger bis dahin ja immer weiter verteuern. Mehr noch: Auch ausländischer Wasserstoff ist laut Prognosen, Transportkosten eingerechnet, dann noch günstiger als im Inland produzierter.
Staatlicher Markt für Stahl aus grünem Wasserstoff
Mehrdad Payandeh, Vorsitzender des DGB-Bezirks Niedersachsen-Bremen, fordert daher einen staatlichen Leitmarkt für Stahl aus grünem Wasserstoff, um zumindest die Nachfrage staatlich abzusichern. Andere Forderungen des DGB bleiben eher unspezifisch: Am Strompreis etwa müsse man drehen.
Auch bei den Auswirkungen verspricht die Studie mehr, als sie halten kann. Ausgehend von der Bundesebene rechnet sie den Nutzen bis auf einzelne Branchen und Landkreise herunter. Warum ausgerechnet Emden als einer der wenigen Standorte, für die es konkrete Wasserstoffproduktionspläne im großen Maßstab gibt, laut Studie wenig Nutzen von der Wasserstoffzukunft zu erwarten habe, fragt ein Journalist. „Was in den einzelnen Landkreisen die Planung ist, wissen wir nicht“, so Mönnig.
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