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DGB: „Faustrecht“ herrscht

■ Deutscher Gewerkschaftsbund malt „Arbeitsrechtskatastrophe“ im Osten an die Wand/ Der Berg von Kündigungsschutzklagen ist nicht zu bewältigen

Berlin — Vor einer „Arbeitsrechtskatastrophe“ in den neuen Bundesländern hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gewarnt. Die beim DGB sprunghaft angestiegenen Kündigungsschutzklagen im ersten Quartal 1991 könnten von den Gerichten oft nicht mehr bewältigt werden. Zwischen Klageeinreichung und Urteil könne bis zu einem Jahr vergehen, teilte der DGB mit. Für betroffene Arbeitnehmer, die den Schutz des Rechtsstaates suchten, entstehe faktisch ein rechtloser Zustand. Güteverhandlungen würden von überlasteten Richtern oft im Zehnminutentakt abgehandelt.

Nach Angaben des DGB vergingen in Frankfurt/Oder zwischen Klageerhebung und Urteilsverkündung neun Monate, bei den Gerichten in Potsdam-Land sieben Monate, in Chemnitz ein halbes Jahr. In Neubrandenburg bewege sich der Zeitraum zwischen acht Wochen und sechs Monaten. Aus Halle werde eine Wartezeit zwischen einem halben und einem Jahr gemeldet. Nach Angaben des DGB in Nordhausen hat beim Kreisgericht die Kammer für Arbeit erst im April dieses Jahres ihre Tätigkeit begonnen. Dort seien über 2.000 Arbeitsrechtsklagen ab Juli 1990 anhängig. Auch in Schwerin müßten eigentlich 70 Richter tätig werden, um die Fälle aus dem Vorjahr aufzuarbeiten.

Währenddessen bearbeitete der DGB in Chemnitz im ersten Quartal 1991 rund 1.500 Kündigungsschutzklagen, in Neubrandenburg 900. In Halle seien es knapp 1.000. Der DGB in Erfurt meldete seit September 1990 und Ende März knapp 4.000 Kündigungsschutzklagen. Bis zum Urteil könnten fünf Monate vergehen. DGB-Sprecher Dieter Schmidt meinte zur steigenden Zahl der Bitten um Rechtsschutz, in einigen Betrieben herrsche anscheinend „das Faustrecht“. (dpa)

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