DGB-Demo zum 1. Mai: Kein unpolitisches Bratwurstfest
Rund 14.000 Gewerkschafter feiern den 1. Mai und sich selbst am Brandenburger Tor. Die taz war mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh unterwegs.
Wenn einer auf der traditionellen Gewerkschafter-Demo zum 1. Mai so richtig in seinem Element ist, dann Raed Saleh. Geduldig lässt sich der SPD-Fraktionschef von der anwesenden Basis aus den Ortsverbänden herzen, schüttelt Gewerkschafterpranken, steckt sich selbstverständlich auch die rote Nelke des Deutschen Gewerkschaftsbunds ans Revers, und schaltet gekonnt auf 1.-Mai-Rhetorik: „Wir müssen als Sozialdemokraten wieder mehr wagen für eine solidarische Gesellschaft. Wir müssen uns trauen, zu träumen.“
Die Verdi-Seniorengruppe lächelt versonnen, und auch der Fraktionschef ist ganz ergriffen von so viel Nähe zur Basis. Deshalb sei die DGB-Demo für ihn so wichtig, sagt er treuherzig: „Das ist für mich jedes Jahr ein Zurück-zu-den-Wurzeln.“
Tatsächlich ist die alljährliche DGB-Kundgebung vor dem Brandenburger Tor vor allem eine große Wohlfühlveranstaltung. Auch wenn die politische Agenda bei den Gewerkschaftern natürlich Ehrensache ist: die DGB-Jugend ruft nach höheren Löhnen für Azubis, die IG Metaller machen sich Gedanken um Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge, die verdi-Seniorinnen sind noch nicht über die Hartz-IV-Reformen von Ex-Kanzler Gerhard Schröder hinweg.
Aber so richtig ernsthaft blättert niemand die Broschüren an den Ständen von Gewerkschaften, Parteien durch. Es geht um Schlagworte, man ist sich einig: CDU und Grüne stehen nebeneinander und sind zusammen gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Die AfD müsse man gemeinsam aufhalten, insistiert eine Dame von den Grünen in Richtung Saleh. „Absolut.“
Flüchtlinge, Tarifverträge, und der Mindestlohn waren die zentralen Themen auf den bundesweiten Gewerkschaftsdemos. In Berlin zogen laut Polizei 2.500 Menschen vom Hackeschen Markt zum Brandenburger Tor.
Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) startete zum Tag der Arbeit eine Kampagne zur Umwandlung von Minijobs. Noch immer arbeiteten rund 205.000 Berliner in einem Minijob. Viele Arbeitgeber wüssten nicht, dass diese Jobs teurer seien als eine reguläre Teilzeitstelle. (dpa)
Hier geht es ums Sehen und Gesehen-werden, gerne mit Bratwurst in der Hand. Soll man also die bierselige Volksfeststimmung – bei den IG Metallern ist schon um elf Uhr Schluss mit Kaffee – als unpolitische Bratwurstveranstaltung schmähen? Mehr Ernsthaftigkeit fordern, und weniger Phrasendrescherei („Mehr Zeit für Solidarität“, das diesjährige Motto) erwarten?
„Schon ein geiles Gefühl“
Den Reflex kann man haben. Aber die Gelassenheit, mit der die laut DGB-Angaben rund 14.000 Menschen, die sich zur Abschlusskundgebung vorm Brandenburger Tor versammelt haben, den Reden ihrer Gewerkschaftsoberen und des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller gemessen beklatschen, haben auch etwas sehr Selbstbewusstes.
Raed Saleh, SPD-Fraktionschef
Seht her, wir sind wer, wir sind eine Macht und das können wir auch ruhig mal ganz gelassen feiern: Das ist die eigentliche politische Botschaft hier.
Am Stand der IG-Metall-Jugend kreist die Wasserpfeife. Hier feiert man ganz konkret und kämpferisch: „Wir wollen, dass die Löhne der Azubis an die der Beschäftigten angeglichen werden“, sagt ein junger Arbeiter aus der Produktion im Mercedes-Werk Marienfelde. Berlin ist bei dieser Lohnlücke weit hinten im bundesweiten Vergleich, im April scheiterte eine zweite Tarifrunde zwischen Arbeitgebern und IG Metall. „Aber als wir da mit unserem Demozug um den Ernst-Reuter-Platz gezogen sind, das war schon ein geiles Gefühl“, sagt der 26-Jährige.
„Keine Ausnahmen beim Mindestlohn“
Gemeinschaftsgefühl, das ist es offenbar auch, was die Jugend in die Gewerkschaft zu ziehen vermag. „Ein paar Jahre war Flaute, aber jetzt haben wir wieder verstärkt Zulauf“, nickt ein ergrauter IG-Metaller. „Man muss den Jugendlichen eben klar machen, was Gewerkschaft heißt“, sagt die 19-jährige Luisa am Stand der DGB-Jugend, und zählt auf, worüber sie etwa mit SchülerInnen an Projekttagen spricht: Wie man sich gegen Sexismus am Arbeitsplatz wehrt, gegen Rassismus. „Ganz konkrete Dinge.“
Ihre Kollegin Rabea ergänzt, sie sei ziemlich wählerisch geworden, was ihren Ausbildungsplatz zur Rechtsanwaltsfachangestellten angehe: „Ich habe eine Zusage, aber da müsste ich jeden Tag zehn Stunden arbeiten mit nur 30 Minuten Pause. Da finde ich noch etwas Besseres“, sagt sie selbstbewusst.
Auf der zentralen Bühne wettert SPD-Arbeitssenatorin Dilek Kolat gegen prekäre Minijobs, zuvor hat der Regierende Müller zu „Solidarität“ mit den Geflüchteten aufgerufen. „Gleich richtige Jobs für Flüchtlinge, keine Ein-Euro-Jobs, keine Ausnahmen beim Mindestlohn“, sagt Fraktionschef Saleh und nickt. Da traut sich einer zu träumen.
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