DFB-Akademie in Frankfurt am Main: Ausgenüchtert nach dem Vollrausch

Unter Oliver Bierhoff sollte die neue DFB-Akademie ein Silicon Valley sein. Heute ist der Anspruch schlichter: den Fußball besser machen.

Luftaufnahme eines großen Gebäudes, im Hintergrund die Skyline von Frankfurt

Auf dem Boden der Tatsachen statt Silicon Valley: der DFB-Campus Foto: Thomas Lohnes/getty images

Weit und groß den deutschen Fußball denken. Das ist der Auftrag, den die DFB-Akademie von ihrem Geburtshelfer Oliver Bierhoff mit auf den Weg bekommen hat. Weit und groß ist auch dann der im Jahr 2022 im Frankfurter Stadtteil Niederrad eröffnete DFB-Campus geworden, auf dem die Akademie, die Verwaltung des Verbandes, Fußballplätze und das Athletenhaus untergebracht sind. Das sehr gläserne Gebäude zieht sich länger an der Schwarzwaldstraße (307 Meter) als der stadtgrößte Wolkenkratzer (259 Meter) in die Höhe ragt. Vom Campus aus ist die ferne Frankfurter Skyline gut zu sehen. Die Anbindung in die weite, große Welt ist bestens. Der Hauptbahnhof liegt 15 Autominuten, der Flughafen 10, die nächste Autobahn nur 3 Minuten entfernt.

Und weit und groß hat sich Bierhoff, der ehemalige Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie, vor allem die Strahlkraft seines Prestigeprojekts ausgemalt. Eine Mischung „aus Silicon Valley und Harvard“ schwebte ihm vor, wie er auf dem Sportbusiness-Kongress SpoBis in Düsseldorf im Februar 2016 frei heraus erzählte. Technische Innovationen und Wissenschaft sollten für die Weiterentwicklung des deutschen Fußballs gebündelt werden. Bierhoff war immer schon der beste Vermarkter seiner Ideen. Hinzu kam der Vollrausch. Die DFB-Elf war damals aus dem letzten Turnier noch als Weltmeister hervorgegangen. Jetzt nach den Pleiten der letzten Turniere ist der Verband längst ausgenüchtert.

Das Wort „pragmatisch“ hört man von Mirko Dismer, dem Leiter der Abteilung „Fußballentwicklung“ in der DFB-Akademie, während einer Führung durch das Haus am häufigsten. Um das neue Denken im Maschinenraum des deutschen Fußballs unmissverständlich deutlich zu machen, erläutert Dismer, man sei hier nicht das Silicon Valley oder Harvard. Bewusst schlicht formuliert er den eigenen Anspruch: „Wir wollen den Fußball besser machen.“

Vieles erst im Werden

Auf dem DFB-Campus ist an diesem Tag eine besonders erregte Stimmung. Das Nationalteam trainiert auf einem der dreieinhalb gepflegten Rasenplätze. Übernachten muss das Team außerhalb des DFB-Quartiers. Die 33 Zimmer im Athletenhaus reichen nicht für den großen Tross. Das EM-Vorbereitungsspiel gegen die Niederlande steht bevor. Plastikhütchen werden aufgestellt. Der Mannschaftsbus fährt vor. Ein paar Dutzend Jour­na­lis­t:in­nen sind im Foyer auf dem Weg zur Pressekonferenz mit Julian Nagelsmann. „Für alle Mit­ar­bei­te­r*in­nen ist das natürlich toll, wenn man aus dem Fenster guckt und die Nationalmannschaft hier trainiert. Dann weiß man, wofür man hier arbeitet, auch in den sportfernen Abteilungen wie in der Buchhaltung“, sagt Dismer. In der europaweit einmaligen Fußballhalle mit einem Kunstrasenplatz nach Fifa-Maßen haben sich gerade etliche Trainer versammelt, welche die B-Lizenz erwerben wollen.

Ausbildung, Zukunftsplanung, Training von Nagelsmann und Co, Abrechnungen – alles passiert wie von den Planern erträumt an diesem Ort gleichzeitig. Und dennoch ist erstaunlich vieles erst noch im Werden.

„Immer die Fußballentwicklungsbrille auf“

Die nahende Europameisterschaft bindet gerade Kräfte. „Wir arbeiten seit Monaten im Backoffice sehr viel für das Turnier“, sagt Dismer. Die Datenexperten etwa seien mit der Aufbereitung der Vorbereitungsspiele beschäftigt. Oder die Fitnesstrainer des Nationalteams, die auch Dismers Abteilung angehören, tauschten sich auf dem Campus noch einmal mit den Kollegen aus den Bundesligavereinen über die optimale Belastungssteuerung der Nationalspieler und Themen wie optimale Regeneration und Schlaf aus. Das Hauptaugenmerk seiner Abteilung liege aber dennoch auf der weiteren Zukunft. „Wir haben immer die Fußballentwicklungsbrille auf.“

Bei dieser Aufgabe muss sich einiges noch finden, weil viele Weichen neu gestellt werden. Die WM-Affäre 2006, die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, die ausbleibenden Prämien bei den letzten Großturnieren und die Kosten des DFB-Campus haben den Verband schwer gebeutelt. Die Baukosten betrugen statt der eingeplanten 150 Mil­lio­nen Euro um die 180 Mil­lio­nen Euro, die jährlichen Betriebskosten (18 Millionen Euro) fallen doppelt so hoch aus wie veranschlagt. Im Sommer 2023 bekannte der DFB, jährlich knapp 20 Millionen Euro mehr auszugeben als durch die Einnahmen gedeckt sind und kündigte Sparmaßnahmen an.

Keine Luftschlösser mehr

Keine gute Nachricht eigentlich für eine Abteilung, die sich ins Reich der Ungewissheit aufmacht, um Trends und Wege aufzuspüren und keine harten Fakten präsentieren kann. Doch der erst 33-jährige Dismer, der selbst schon in der Regionalliga kickte, seit zehn Jahren bereits in unterschiedlichen Funktionen beim DFB tätig ist, wiegelt ab: „Es ist nicht so, dass unsere operative Arbeit eingeschränkt ist, weil wir uns sowieso vorgenommen haben, uns zu fokussieren, zu priorisieren. Wir wollen die richtigen Dinge tun und keine Luftschlösser bauen.“ Armut mache kreativ.

Dismer spricht von einer Neuausrichtung der Akademie. Mit dem Amtsantritt des DFB-Geschäftsführers Andreas Rettig im September 2023 sei auch in seiner Abteilung alles noch einmal auf den Prüfstand der wirtschaftlichen Vernunft gestellt worden. Der DFB-Akademieleiter Tobias Haupt, den Bierhoff ins Haus gebracht hatte, löste im Dezember seinen Vertrag einvernehmlich mit dem DFB auf. Zuvor hatte er sich öffentlich gegen die Sparpläne ausgesprochen. Die Strukturen wurden neu aufgestellt und Dismer übernahm im Wesentlichen die Aufgaben von Haupt.

Weniger ist mehr

Auf dem zu groß geratenen DFB-Campus heißt die neue Arbeitsparole: Weniger ist mehr. Bei den Zukunftsbeauftragten wird das nach außen hin am wenigsten auffallen. Den direkten Erfolg der eigenen Arbeit, räumt Dismer ein, könne man nur selten messen. „Bei vielen Dingen kann man erst in zehn Jahren sagen: Das war gut.“

Ein besonderer Stolz der Abteilung ist deshalb das Trackman-System, das im TechLab im Erdgeschoss steht und dazu dient, Freistoßtechniken mit Hilfe von genauesten Ballflugdaten zu verbessern. Der WM-Triumph der U17 im Dezember vergangenen Jahres wurde durch besonders viele Freistoßtore begünstigt. Deren Trainer Christian Wück, erzählt Dismer, habe sich danach noch einmal bei der Abteilung für die Unterstützung bedankt.

Markt der Möglichkeiten

Eine Sensory Station, die Aufschlüsse über die individuelle Tiefenwahrnehmung, das periphere Sehen geben kann, steht auch in diesem Raum. Dismer erklärt: „Wenn etwa beim Training eines Auswahlteams der Trainer sagt, bei Flanken von links gibt es irgendein Problem beim Torwart, machen wir hier mal einen Check.“

Dismer sagt, es gebe einen großen Markt der Möglichkeiten. Wer sich länger auf ihm bewegt, verläuft sich nicht so schnell und kann seine Kräfte gezielter einsetzen. Beim Sammeln von Daten in der Spielanalyse etwa, berichtet Dismer, habe man in der Vergangenheit etwas übersteuert. Die Herausforderung wäre, vom Big Data zum Smart Data zu kommen, aus dem Datenwust Ergebnisse mit Aussagekraft zu generieren und nicht noch immer mehr Daten „reinzuschießen“. So kompliziert sei der Fußball schließlich auch nicht.

Auf dem Technologiemarkt wächst das Angebot an neuen Produkten von Jahr zu Jahr, das die Ma­che­r:in­nen der Akademie durchforsten und evaluieren. Den Profivereinen, mit denen man um einen engen Austausch bemüht ist, will man dadurch Orientierung geben.

Akademie als Dienstleister

Die DFB-Akademie versteht sich als Dienstleister und Impulsgeber. Wissen soll an der Schwarzwaldstraße zusammengetragen, gebündelt und in nützlicher Form allen auch im Amateurfußball zugänglich gemacht werden. Einen gewissen Argwohn hat Dismer anfangs bei den Profivereinen ausgemacht. Der Einladung zum ersten Austauschtreffen für die Erstliga-Fitnesstrainer, erzählt er, seien fünf gefolgt. Mittlerweile würden alle 18 Vereine jemanden schicken und anfragen, ob sie noch einen Zweitvertreter mitbringen könnten. Auf Plattformen verschiedenster Art sollen Synergien freigesetzt und miteinander vernetzt werden. In der Theorie hört sich das alles smart an, in der Realität vollzieht sich das eher schleppend. „Wir sind nicht immer das Schnellboot, weil wir alle mitnehmen und überzeugen wollen“, räumt Dismer ein.

Für Außenstehende kann erst recht der Eindruck entstehen, es werde zu viel Gewese um den Fußball der Zukunft gemacht. Verstärkt wird das Gefühl gewiss dadurch, dass die DFB-Akademie noch recht unzugänglich für das allgemeine Publikum ist. Der letzte Hauch der elitären Silicon-Valley-Attitüde hat sich noch nicht verzogen. Mehr Führungen seien künftig geplant, heißt es auf dem DFB-Campus. Einen ersten Schritt unternimmt der Verband nun anlässlich der EM. Fans können nach Anmeldung kostenlos „den DFB-Campus mit exklusiven Führungen erkunden und so manches Geheimnis erfahren“. Auf Anfrage soll das sogar auf Englisch, Italienisch, Französisch und Spanisch möglich sein. Geheimnisse für alle? So einladend hat sich der Maschinenraum des deutschen Fußballs noch nie präsentiert.

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