DEUTSCHE ENTWICKLUNGSHILFE PRODUZIERT PAPIERE STATT LÖSUNGEN: Armutszeugnis statt Armutsbekämpfung
Nach langem Gerangel hat das Kabinett gestern das „Aktionsprogramm 2015“ verabschiedet, das den deutschen Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung beschreiben soll. Kurz gefasst: Der Plan ist ein richtiger Schritt – nötig wäre ein großer Sprung. Statt einer überzeugenden Strategie wird eine Sammlung von Absichtserklärungen präsentiert. Auf dieser Basis wird die Entwicklungspolitik weiter an Bedeutung verlieren.
Zwei Aspekte des „Aktionsprogramms“ sind positiv zu bewerten. Erstens: Die Vereinten Nationen wollen den Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen bis zum Jahr 2015 halbieren. Die Bundesregierung als wichtiger Global Player unterstützt dieses Ziel nun. Zweitens: Es war die Entscheidung Schröders, das Bundeskabinett mit diesem Thema zu befassen – er hat es damit bewusst aufgewertet. Zu Recht: 1,3 Milliarden absolut Armer sind ein moralischer Skandal – und nicht nur das. Absolute Armut und das dadurch beförderte Bevölkerungswachstum bedrohen Frieden und Sicherheit, verursachen weltweite Flüchtlingsbewegungen und globale Umweltzerstörungen. Armutsbekämpfung muss daher zu den „harten“ Interessen deutscher Politik zählen.
Die Chance jedoch, eine überzeugende Strategie zu entwickeln, wurde verpasst. Es war ein Fehler, dass Schröder das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit der Federführung beauftragt hat. Das „Aktionsprogramm“ verharrte so in traditionellen Denkmustern: Das BMZ formuliert seit Jahrzehnten Konzepte zur Armutsbekämpfung, die nun mit der „copy and paste“-Funktion in das „Aktionsprogramm“ übertragen wurden. So stehen etwa die Förderung von Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche aus armen Bevölkerungsschichten oder die Hilfe zur Selbsthilfe für ländliche ErzeugerInnen seit den 70er-Jahren in allen BMZ-Papieren. Daneben behinderte das übliche interministerielle Hickhack. Das BMZ machte Vorschläge, die anderen Ressorts beschränkten sich darauf, ihre Interessen zu verteidigen. Eine ressortübergreifende Taskforce, gesteuert vom Kanzleramt, hätte dieses Dilemma vermeiden können. Was das BMZ schließlich nach langem Gezerre dem Kabinett vorlegte, ist daher leider nur ein unverbindlicher Bauchladen. 75 (!) „Aktionen“ listet das Papier auf – ohne jede Prioritätensetzung, ohne Konkretisierung, ohne überprüfbare Ziele. Stattdessen erfahren die geneigten LeserInnen am Ende des Dokuments, nun solle ein „Umsetzungsplan“ zum „Aktionsprogramm“ erarbeitet werden – vermutlich folgen danach noch Durchführungsbestimmungen, ein technischer Leitfaden und administrative Implementierungshilfen. Deutsche Entwicklungspolitik produziert Papiere, keine Lösungen.
Das BMZ jammert, man habe sich nicht gegen die starken Ressorts durchsetzen können (Finanz- und Wirtschaftsminister strichen alle Passagen aus den Entwürfen heraus, die die bisherige Politik auch nur ansatzweise verändert hätten). Doch kann diese Durchsetzungsschwäche des BMZ nicht erstaunen. Da eine überzeugende Strategie fehlte, werden die allermeisten Steuerzahler Finanzminister Hans Eichel Recht geben, der für diesen unsortierten, langweiligen, jeder Innovation abholden Aktionismus kein zusätzliches Geld ausgeben will.
Eine letzte Chance gibt es allerdings noch. Das BMZ könnte mit dem angekündigten „Umsetzungsplan“ einen neuen Anlauf nehmen, um die Armutsbekämpfung zu konkretisieren. Dabei müsste endlich klar werden, wie sich der deutsche Beitrag in den Kontext der zahlreichen anderen internationalen Akteure einfügen könnte. Es müsste präzisiert werden, mit welchen „Aktionen“ und welchen Instrumenten die angestrebten Ziele erreicht werden sollen und welche Prioritäten dabei gelten. Schließlich müssten definierte Zwischenziele eine Kontrolle darüber erlauben, ob der deutsche Beitrag tatsächlich Wirkung zeigt. Nur für solch klare Perspektiven kann gesellschaftliche Unterstützung erwartet werden. Gelingt es nicht, fundierte Lösungen für eines der wichtigsten globalen Probleme zu formulieren, würde das „Aktionsprogramm 2015“ zum Armutszeugnis, nicht nur für das BMZ, sondern für die rot-grüne Regierung insgesamt.
WALTER EBERLEI
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen