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DER WELTWIRTSCHAFTSGIPFEL SOLLTE SICH AUF SEINE AUFGABEN BESINNENPrimat der Politik

Das alljährliche Treffen der sieben reichsten Industrienationen plus Russland hat ein Problem. Wenn nicht gerade ein Krise Thema der Beratungen ist, beschäftigt sich der Weltwirtschaftsgipfel mit allem Möglichen und wenig Konkretem. Die Abschlusserklärung von Okinawa belegt das. Aus ihr konnte jeder Teilnehmer ein anderes Ergebnis herauslesen. Für Gerhard Schröder waren die Absichtserklärungen zum Schuldenerlass für die Dritte Welt am wichtigsten. Der japanische Premier Yoshiro Mori hob dagegen die Friedensbotschaft des Gipfels hervor. Der russische Präsident Wladimir Putin wiederum betonte die Besorgnis der G 8 wegen des internationalen Terrorismus.

So zerredete nach Ende des Gipfels jeder die gemeinsame Botschaft – wenn es sie denn gegeben hätte. In Wirklichkeit waren wohl alle zufrieden damit, der Weltwirtschaft ihren für die reichen Länder derzeit erfreulichen Kurs zu lassen, Russland für seine Erfolg versprechenden ökonomischen Anstrengungen zu loben und der Dritten Welt Hoffnung auf Wachstum einzureden. Auch wenn man dazu einzelne neue Initiativen wie die Charta zur Informationstechnologie oder das Versprechen, allen Kindern der Welt eine Schulerziehung zu bieten, zählt, zeugt das noch nicht für die Handlungsfähigkeit der G 8. Gerade der Hang zur symbolischen Politik lenkt vom eigentlichen Auftrag des Weltwirtschaftsgipfels ab: Der aber lautet, das Primat der Politik über die Wirtschaft auch im Weltmaßstab zu bewahren, und ist in Zeiten fortschreitender Globalisierung aktueller denn je.

Wie dringend die G 8 hier gebraucht werden, zeigt die Auseinandersetzung um die Modalitäten des Schuldenerlasses für die ärmsten Dritte-Welt-Länder: Ohne klare politische Vorgaben der acht Regierungschef sind Weltbank und IWF auf dem besten Weg, die Schuldenerlassinitiative zur neuen Legitimation ihrer eigenen Apparate zu nutzen und zeitverzögernde Bedingungen in den Entschuldungsprozess einzubauen.

Die Zukunft der G8 liegt damit in der Rückbesinnung auf die Politökonomie. Sie käme der Dritten Welt mehr entgegen als die Verkündung großherziger Versprechen. Denn sie würde zurück zur Reformdiskussion über das internationale Finanzsystem führen, die nach dem Abklingen der Krisen in Asien, Russland und Brasilien in Vergessenheit geraten ist. Und sie würde den G 8 neue Partner bescheren: China mit seinem anderen politischen System wäre in wirtschaftspolitische Beratungen leichter zu integrieren als in den politischen Rundumschlag, mit dem uns die G 8 nunmehr jedes Jahr unverbindlich die Welt erklären. GEORG BLUME

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