DER US-WAHLKAMPF NACH DEN GROSSEN FERNSEHDEBATTEN: Outsider & Fighter
Amerikanischer Wahlkampf ist wie Theater. Die Protagonisten nehmen Rollen an. Bush gibt den Outsider, der endlich Politik statt Parteipolitik machen will. Gore kommt als Fighter, um eine Lanze für den gemeinen Mann zu brechen. Der Schaukampf könnte fast vergessen machen, dass beide Kandidaten von Geburt, Aufzucht, Erziehung und Lebenslauf her aufs Intimste mit der politischen Klasse verbunden sind und von eben den Lobbys unterstützt werden, die sie angeblich – jeder auf seine Weise – herausfordern.
Doch beide Darsteller spielen ihre Rolle denkbar schlecht. Entsprechend komisch sind ihre Drohgebärden und Schwüre. Man fragt sich, warum in dieser Saison dieses Stück überhaupt gegeben wird. Im Lande steht doch alles zum Besten. Die USA erleben den nachhaltigsten und längsten Boom ihrer Geschichte, die geringste Arbeitslosigkeit seit Menschengedenken, und der Staat fährt Rekordüberschüsse ein. Unter diesem Blickwinkel könnten die Politiker die Bürger doch in Ruhe lassen und einfach weitermachen.
Es sollte einen Mechanismus geben, der Wahlkämpfe in bestimmten Situationen aussetzt und auf schlechtere Zeiten verschiebt. Nicht dass es bei allem Glanz in Amerika nicht auch Probleme gäbe.
Die Armut ist trotz des Booms noch groß. Auch Menschen, die 50 und mehr Stunden die Woche arbeiten, sind arm. In den meisten Familien müssen zwei arbeiten, um einen Lebensstandard zu halten, den noch vor 20 Jahren ein Verdiener garantieren konnte. Frauen haben es schwer in einer Berufswelt, in der Kindertagesstätten entweder nicht existieren oder ein horrendes Geld kosten. Der Mindestlohn liegt noch immer bei lumpigen 5,15 Dollar, und in vielen Dienstleistungsbetrieben wird noch weniger gezahlt. Doch die Menschen im Schatten des American Dream wählen nicht. Deshalb konzentriert sich der Wahlkampf auf jene, die Lust auf dieses Theater haben: die Alten, um deren Renten- und Krankenversicherungen sich dieser Wahlkampf in erster Linie dreht.
Doch am Ende wird nicht das mehr oder weniger überzeugende Spiel einer der beiden Hauptfiguren Wahlen entscheiden, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse. In Amerikas Geschichte wurde noch nie eine Regierungspartei in guten Zeiten aus dem Weißen Haus vertrieben. Trotz des derzeit spannenden Kopf-an-Kopf-Rennens dürfte Gore diese Wahl – vielleicht knapp, aber doch klar – gewinnen. Auch dann, wenn er nicht der bessere Schauspieler ist. PETER TAUTFEST
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