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DER UN-EINSATZ IN AFGHANISTAN IST ZUM SCHEITERN VERURTEILTLeichtsinnig ins Chaos

Wie kurz darf ein Gedächtnis sein und wie eng ein Blick, wenn man die Verantwortung für das Leben anderer Leute übernimmt? Offenbar ganz kurz und sehr eng. Alle Pläne für die Stationierung einer UN-Friedenstruppe in Afghanistan lassen im Lichte vorangegangener Erfahrungen einen Erfolg dieser Mission als nahezu ausgeschlossen erscheinen. Von ungefähr 3.000 internationalen Soldaten ist die Rede, die ausschließlich die Hauptstadt Kabul schützen sollen. Eine Kontrolle des ganzen Landes wird als zu schwierig und aufwändig abgelehnt. Die Hoffnung, auf diese Weise die Verhältnisse stabilisieren zu können, ist nicht mehr als Optimismus zu bezeichnen. Das ist Leichtsinn.

Zur Erinnerung: Etwa 1.100 Nato-Soldaten überwachen derzeit den Friedensprozess in Mazedonien. Zu Recht gilt ihr Auftrag als riskant, obwohl es sich um ein überschaubar kleines Land handelt, in dem es funktionierende staatliche Strukturen gibt und das von den Schrecken eines offenen Bürgerkrieges – weitgehend – verschont geblieben ist. In Somalia befanden sich zeitweise 30.000 UN-Soldaten. Sie kontrollierten am Schluss nicht einmal mehr die Zufahrtswege zu ihren eigenen Kasernen. Noch immer herrscht dort Krieg. Jetzt sollen zehn Prozent dieser Truppen für Afghanistan ausreichen? Das kann doch niemand ernsthaft glauben.

Chaos hat sehr unterschiedliche Gründe und Ursachen. Einige Gesetzmäßigkeiten aber gelten für alle Länder, die jahrelange Gesetzlosigkeit hinter sich haben. Die Gesellschaft als Ganzes ist brutalisiert. Ein Menschenleben zählt wenig. Die Gruppen und Einrichtungen, denen die Loyalität der Einzelnen gilt, werden immer kleiner – manchmal handelt es sich nur noch um die Familie. Die Sicherung des eigenen Überlebens hat höchste Priorität. Ein 27-Jähriger, dessen Lebenserfahrung davon geprägt ist, dass eine Kalaschnikow schnelle Beute verspricht, ist nur mühsam davon zu überzeugen, seine Waffe abzugeben und seine Zukunft als Bauer oder Tischler zu suchen. Was für den kleinen Banditen gilt, trifft in noch stärkerem Maße auf den Milizenchef zu, der sich von seinem Kampf dauerhaften Einfluss und reiche Pfründe erhofft hat. Manche afghanische Militärführer haben schon jetzt angekündigt, die neue Übergangsregierung nicht anerkennen zu wollen. Ihre Zahl dürfte steigen.

Was wollen 3.000 UN-Soldaten in Kabul vor diesem Hintergrund ausrichten? Binnen kürzester Zeit werden sie zur Konfliktpartei mutieren, und sei es auch nur deshalb, weil all jene, die an der Macht in der Hauptstadt nicht beteiligt sind, in ihnen Verbündete der Herrschenden sehen. Nun lässt sich darüber streiten, ob es ausländischen Militärs überhaupt gelingen kann, Frieden zu erzwingen. Wie stabil wären heute wohl die Verhältnisse auf dem Balkan, wenn die internationalen Truppen morgen abzögen?

Die Bombardierung von Afghanistan hat Fakten geschaffen, die eine Erörterung derartiger Fragen als akademisch erscheinen lassen. Wenn dem Eindruck entgegengewirkt werden soll, es habe sich eben doch um einen Rachefeldzug gehandelt, dann muss jetzt wenigstens der ernsthafte Versuch unternommen werden, das Land zu befrieden. Das kostet. Demobilisierungsprogramme, der Aufbau von Infrastruktur und die Sicherung von Landesgrenzen verschlingen Unsummen. Billiger ist der Frieden aber nicht zu haben. Und die Zukunft weltweiter Terrornetzwerke dürfte von der Zukunft Afghanistans in weit stärkerem Maße bestimmt werden als von jeder Rasterfahndung.

Einen ganz kleinen Hoffnungsschimmer gibt es, immerhin. Ein Mandat, das den UN-Truppen ausschließlich die Selbstverteidigung erlaubte, scheint vom Tisch zu sein. Gottlob. Nichts befördert Verschwörungstheorien nachhaltiger als Tatenlosigkeit ausländischer Soldaten in Sichtweite von Gewalt. Wer mit filigranen Problemen der Mandatserteilung nicht vertraut, aber an Krieg gewöhnt ist, kann gar nicht anders, als in passiven UN-Truppen die Freunde der eigenen Feinde zu sehen. Ein „robustes“ Mandat ist deshalb die Voraussetzung für jede Friedenssicherung. Aber nicht hinreichend dafür. Derzeit sieht es so aus, als sei die geplante UN-Mission zum Scheitern verurteilt. Soll man es wirklich für einen Zufall halten, wenn die Nato für sich den Lorbeer – scheinbar – erfolgreicher Angriffe beansprucht, den Vereinten Nationen aber gerne die mühsame Drecksarbeit überlässt? BETTINA GAUS

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