DER NEUE HAMBURGER SENAT BEHERRSCHT DIE POLITISCHE SYMBOLIK: Gut gewählte Scheinprobleme
Ole von Beust sieht seine Amtszeit als Hamburger CDU-Bürgermeister gelassen: Politik sei zu 70 Prozent „Symbolik, und die beherrsche ich“. So wenig ehrgeizig das klingt, er hat Recht: Regieren ist symbolisch. Und das gilt nicht nur für Hamburg.
Aber da besonders. Denn Hamburg ist pleite. Das ist zwar keine Neuigkeit – schließlich sind 33 Milliarden Mark Schulden kaum zu übersehen –, aber nun hat es auch die neue Bürgerkoalition aus CDU, Schill-Partei und FDP erkannt. Einen Monat ist die Bürgerschaftswahl erst her, doch für eine Kaskade der Ankündigungen hat die Zeit gereicht. Ein Beispiel: Die Polizei werde um 2.000 Beamte, um 800 Beamte, um 400 Beamte, um 400 Angestellte, um 250 Angestellte verstärkt. Die sechste Version folgt sicher bald.
Was für ein lächerlicher Regierungsstil. Und realpolitisch wird auch das meiste bleiben wie gehabt. Aus dieser Empfindung und Erkenntnis speist sich bei vielen ein erster Trost. Die Sachzwänge sind zu stark, Schill und Konsorten zu doof, als dass sie großen Schaden anrichten könnten. Doch kann dies nicht wirklich beruhigen, gerade weil Bürgermeister von Beust so Recht hat: Politik ist symbolisch. Realpolitik zählt nicht, Verbalradikalismus reicht. Er darf sich nur nicht gegen die Mehrheit richten, sondern muss Minderheiten treffen. Wie man das macht, führt der 38-seitige Koalitionsvertrag vor.
Zunächst überraschen seine Kürze und die schrägen Themen. Da geht es um Straßenpoller oder eine Busspur mitten durch die Szene. Doch sind diese absurden Scheinprobleme beunruhigend gut gewählt. Sie werden nämlich auch von alternativ Gesinnten als Symbol wahrgenommen; Demonstrationen und Krawall sind schon angekündigt. Das Chaos auf einer einzigen Kreuzung wird davon ablenken, dass sich in Hamburg sonst nichts tut. Und Innensenator Schill kann ganz lokal, zwischen zwei Pollern, Stärke demonstrieren. Seine Wähler fernab in den Vororten werden es goutieren – am Fernsehschirm. Schließlich werden die Bilder gut genug für die Tagesschau sein und bundesweit strahlen. Neben diesen neuen Konflikten werden natürlich die bewährten inszeniert: mit Obdachlosen, Ausländern, Sozialhilfeempfängern, Drogensüchtigen. Auch symbolische Politik hat Folgen, aber nur für die Schwachen.
Bleibt wenigstens ein zweiter Trost? Die beliebte Prognose, dass sich die Koalition bald selbst zerlegt? Sicher, ihr Personal ist meist unerfahren. Aber leider haben sie das Wichtigste schon begriffen: dass Politik sehr viel mit Symbolik zu tun hat.
ULRIKE HERRMANN
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