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DER KANZLER BRAUCHT DIE GRÜNEN IM BUND UND IN NRW. NOCHGrüne unterm roten Joch

Die Sondierungsgespräche für eine rot-grüne Koalition in NRW haben begonnen – und die Grünen müssen das Schlimmste befürchten. Wolfgang Clement hat allen Anlass, die Grünen zu schröpfen, bis sie schwarz werden – sogar einen persönlichen: Rache für ihre Widerborstigkeit in der letzten Koalition. Durch den Wahlausgang ohnehin geschwächt, werden die Grünen sich kaum aus eigener Kraft wehren können. Ihnen droht die Unterwerfung unters rote Joch. Die Rettung, so steht zu vermuten, wird ihnen ausgerechnet ein langjähriger Grünen-schreck bringen: Gerhard Schröder.

Der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende kann nicht zulassen, dass Clement dem einem Juniorpartner zu viele Zugeständnisse abtrotzt. Seinen Motive sollten die Grünen allerdings mit Misstrauen begegnen: Gerhard Schröder rettet die Grünen in NRW, um ihnen in Berlin besser auf den Kopf hauen zu können.

Damit Schröder die Koalition dort seinem Willen unterwerfen kann, ist er auf die anhaltende Leidensfähigkeit der Grünen angewiesen. Nur dann kann Schröder seine Ziele erreichen. Werden die Grünen in NRW zu stark zur Ader gelassen, stehen sie in Berlin auf zu wackeligen Beinen, um die Rosskuren zu überstehen, die der Kanzler ihnen noch zumuten möchte.

Gerhard Schröder als Wächter der grünen Ideale – das ist eine Rolle, die er der inneren, der moralischen Schwäche der Grünen verdankt. Die Grünen sind nicht erst durch ihr schlechtes Abschneiden am vergangenen Sonntag in die Position des Bittstellers gerutscht. Weder ihr schlechtes Abschneiden beim Wähler noch die überraschende Stärke ihrer liberalen Nebenbuhler müssten ihnen zwangsläufig Probleme bereiten. Ihre mangelnde Souveränität im Umgang mit Wolfgang Clements Bedingungen für eine Neuauflage der Koalition hat eine tiefer sitzende Ursache: Sie ist ihrer Machtversessenheit geschuldet. Ausgerechnet die linken Alternativen, einst angetreten mit dem Vorsatz, das parlamentarische System zu entstauben, wollen unbedingt so lange am Banketttisch der Macht sitzen bleiben, bis sie selbst Staub ansetzen. In den 15 Jahren, seit sie mit Joschka Fischer den ersten Minister in eine rot-grüne Landesregierung entsandten, sind sie so sehr Regierungspartei geworden, dass ihnen der freiwillige oder auch nur taktisch motivierte Abschied von der Macht so schwer fällt wie vor kurzem der CDU unter Helmut Kohl. Machtversessenheit zieht außerdem Machtvergessenheit nach sich: Für welche Zwecke und zu wessen Wohle man die Macht ursprünglich einmal einsetzen wollte, gerät dann schnell aus dem Bewusstsein. Für die Koalitionsverhandlungen bedeutet das nichts Gutes: Ohne innere Überzeugungen verhandelt sich's schlecht.

Die moralische Schwäche der Grünen ist die Ursache für Clements politische Stärke. Entsprechend groß ist für Clement die Versuchung, den schwachbrüstigen Grünen ein Ministerium abzutrotzen oder mindestens in seiner Zuständigkeit zu beschneiden. Außerdem dürften in einem neuen Koalitionsvertrag viele sozialdemokratische Positionen von vornherein so fest geschrieben stehen, dass den Grünen später kein Spielraum für die Eiertänze bleibt, die Clement in der letzten Legislaturperiode schier aus der Haut fahren ließen.

Gerhard Schröder hat ähnliche Erfahrungen wie Clement. Trotzdem wird er diesem in den Arm fallen, ehe Clement den personellen und programmatischen Aderlass des Koalitionspartners bis zum Äußersten treibt. Pure Realpolitik, unfreundlicher ausgedrückt Machtpolitik, motiviert den SPD-Vorsitzenden. Es kann nicht in Schröders Interesse liegen, schon jetzt den letzten Tropfen grünen Lebenssaft aus der Partei zu pressen. In Berlin ist Schröder auf weitere Opfer der Grünen angewiesen: beim Atomausstieg, bei der Bundeswehrreform, womöglich erneut bei den Panzerlieferungen an die Türkei. In all diesen Fällen kann die Koalition nur in Schröders Richtung marschieren, wenn die Grünen vom Pfad ihrer Überzeugen abweichen. Zumindest so lange sollten sie auch aus Sicht des Kanzlers noch bei Kräften bleiben.

Dass dieser realpolitische Kurs nicht moralisch ist, kann man Schröder zu Recht vorwerfen. Vor allem aber ist er gefährlich. Müssen die Grünen personell und programmatisch zu oft und lange bluten, könnten sie am Ende schneller ihre Seele aushauchen, als es selbst Gerhard Schröder lieb sein kann. PATRIK SCHWARZ

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