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DER GITARRIST In Berlin leben so viele frei improvisierende Musiker wie sonst nirgends in Europa. Einer von ihnen heißt Olaf Rupp. Wenn der Autodidakt mit seiner rechten Hand die Saiten zupft, spielt er ohne festgelegte Muster oder Melodien. Ein Gespräch über Intuition und darüber, was seine Musik mit Fußball gemeinsam hat„Man kann seine schlechte Laune auch mit ins Spiel reinbringen“

Interview Andreas HartmannFotos Amélie Losier

taz: Herr Rupp, das Erste, was mir an Ihnen aufgefallen ist, sind Ihre Fingernägel an der rechten Hand, regelrechte Schaufeln sind das ja.

Olaf Rupp: Das sind halt Gitarristenfingernägel. Ich habe an der linken Hand sozusagen gar keine Fingernägel, wegen des Griffbretts der Gitarre und rechts sehr lange zum Zupfen. Ich spiele eben wenig Apoyando, dafür viel Tirando.

Sie spielen was bitte?

Das sind zwei unterschiedliche Grundarten, Gitarre zu spielen. Die meisten spielen Apoyando, was bedeutet, dass man beim Zupfen mit den Fingern immer von der einen in die nächste Saite reinfällt. Ich dagegen zupfe mit meinen Fingernägeln die Saiten. Apoyando erzeugt zwar einen lauteren Klang, aber die Töne schmelzen nicht so zusammen wie beim Tirando, und man kann auch nicht polyfon spielen. Apoyando kommt vom Jazz, wo man die Gitarre bevorzugt als Melodieinstrument verwendet, aber Melodien interessieren mich bei meiner Art zu spielen gar nicht so sehr, mir ist das Polyfone viel wichtiger.

Sie sind ja auch kein Jazzgitarrist, sondern frei improvisierender Musiker. Allerdings wird Ihre Musik, gern Improv genannt, unter dem Begriff Jazz subsumiert.

Jazz ist ganz einfach so ein Gummibegriff. Manchmal ist man als frei improvisierender Musiker mit gemeint, manchmal nicht.

Sie sind schwul und bewegen sich in einer Szene, die teilweise sehr testosterongeprägt ist. Free Jazz soll eine ziemliche Mackerszene sein. Gab es da mal irgendwelche Probleme?

Nein. Ich habe mit ganz unterschiedlichen Leuten zu tun, mit ganz sensiblen und fragilen, die sehr leise Musik spielen, aber eben auch mit den sehr männlich wirkenden Free-Jazz-Typen, die Sie angesprochen haben. Aber von keiner Seite habe ich mir da jemals etwas wegen meiner Homosexualität anhören müssen. Improv ist eine gedanklich ziemlich freie Musikwelt, mich würde es ziemlich irritieren, wenn das anders wäre.

Wie lange Improvisieren Sie schon auf der Gitarre?

Bereits im Alter von elf oder zwölf Jahren habe ich eine Gitarre bekommen. Ich hatte keinen Gitarrenlehrer, sondern ich habe einfach nach Klängen gesucht. Im Nachhinein könnte man sagen, das war bereits improvisierte Musik, an der ich mich da versucht hatte. Ziemlich schnell war mir klar, dass ich aus diesem Spiel mit der Gitarre einen Beruf machen wollte. Allerdings dachte ich erst mal, um das hinzubekommen, müsste ich entweder in Richtung Klassik oder Rock gehen, mich in eine dieser Schubladen einsortieren lassen. Ich hatte dann tatsächlich erst mal mehrere Rockbands und habe auch mal am Lagerfeuer rumgeklampft. Erst später habe ich dann frei improvisierende Musik von Hans Reichel oder Cecil Taylor kennen gelernt und fest gestellt, dass man mit der Gitarre professionell ja auch noch etwas anderes machen kann als Rock oder Klassik.

Was für eine Musik haben Sie da damals in Ihren Bands gespielt?

Ach, eher so grauenhaftes Zeugs. Bluesrock und so was. Was man halt auf dem Land so spielte.

Sagen Sie sich heute manchmal: Hätte ich mich damals doch für Rock oder Klassik entschieden, würde ich heute als Gitarrist besser verdienen?

Mein Leben wäre bestimmt leichter gewesen. Obwohl, wer weiß das schon? Wenn ich beispielsweise klassische Gitarre studiert hätte, wäre ich jetzt vielleicht klassischer Gitarrist. Was auch nicht so toll ist in Deutschland. Da lebt man meist auch nur vom Gitarrenunterricht.

Olaf Rupp

Der Musiker: Olaf Rupp, 1963 in Saarlouis im Saarland geboren, spielt etwa seit seinem zwölften Lebensjahr Gitarre. Weitestgehend autodidaktisch hat er sich seinen persönlichen Spielstil beigebracht, mit dem er das Klangspektrum der ­E-Gitarre durch unkonventionelle Anschlag- und Zupftechniken erweitern möchte. Beim Spielen verzichtet er auf vorher festgelegte Muster oder Melodienbögen und verbindet Elemente aus Klassik, Jazz und Rock. Seine Art, die Gitarre in einer aufrechten Position zu halten, ist von chinesischen Pipa-Spielern inspiriert.

Der Werdegang: Anfang der Neunziger zog Rupp nach Berlin. Dort wurde er Teil der heute weltweit bekannten Berliner Echtzeitmusikszene, die ihren Ursprung nach dem Mauerfall vor allem in besetzten Häusern in Prenzlauer Berg hat. Rupp hat mit berühmten Jazz- und Improvisationsmusikern wie Cecil Taylor und Lol Coxhill zusammengearbeitet und mehrere Solo-, Duo- und Ensemble-CDs veröffentlicht.

Der Termin: Am 29. Juni findet in der Berliner Bar Babette die Release-Party für die Platte „Hundred Beginnings” seines Duo-Projekts Xenofox statt.

Frei improvisierte Musik zu spielen, bedeutet, dass man keine vorher verabredeten Melodienbögen spielt, sondern dass ein Stück spontan entsteht. Wie macht man so etwas?

Ich stelle mir nie vorher vor, wo ich beim Spielen eines Stücks hin will. Wenn ich etwas verändere, geschieht das plötzlich, eher so halb bewusst. Während des Spielens beobachte ich mich sozusagen selbst, schaue, in welchem Spielfluss ich mich gerade befinde. Es gibt Konzerte, die spielen sich von selbst, da muss ich gar keine Entscheidungen treffen. Das ist ideal. Aber wenn du merkst, es läuft gerade nicht so, musst du versuchen, dir wieder bewusst Anstöße zu geben, um in einem Stück von A nach B zu kommen.

Sie spielen solo, gern im Duo, aber auch im Ensemble. Was ist am einfachsten?

Solo zu spielen ist am einfachsten. Ich muss mich vor dem Konzert fit und die Finger gelenkig machen, dann aber eigentlich nur die Hände hinhalten. Je mehr Leute an einem Konzert beteiligt sind, desto komplizierter wird es, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. In Ensembles mit über zehn Mitspielern wird es schon ziemlich schwierig, miteinander zu kommunizieren. Es können auch Probleme auftreten, die man gar nicht selber steuern kann. Beispielsweise: Was macht man, wenn der andere etwas spielt, was man selber nicht mag?

Und, was macht man?

Man kann beispielsweise einfach aufhören, was vielleicht die härteste Reaktion ist. Oder man bringt seine eigene schlechte Laune einfach mit rein in sein Spiel, was auch produktiv sein kann. Am Besten ist es, wenn man einfach, wie der Improv-Musiker Paul Lovens es mal formulierte, „findet, anstatt zu suchen“. Das heißt, dass man, egal welche Klänge man in einem bestimmten Moment gerade vorfindet, immer eine interessante Musik hinbekommt.

Hatten Sie mal das Gefühl, das, was hier gerade im Zusammenspiel mit anderen passiert, das geht eigentlich gar nicht?

Schon, aber das kann ja auch etwas bringen. Vielleicht wird das Konzert nicht wirklich gut, aber man lernt zumindest etwas über sich selber dabei und kann versuchen, es beim nächsten Mal besser zu machen.

Wann ist ein Konzert wirklich gelungen?

Wenn magische Momente entstehen. Wenn plötzlich Sachen zusammen passen, wovon man gar nicht dachte, dass sie sich vereinen ließen, beispielsweise.

Das gibt es ja sonst nirgends, dass mehrere Menschen gemeinsam vor einem Publikum spontan eine Sache entwerfen. Zumindest nicht in der Kunst. Im Sport schon eher, oder?

Im Mannschaftssport, stimmt. Dort gibt es auch so magische Momente, wo der Teamgeist spürbar wird und ganz offensichtlich deswegen alles besser klappt.

Improv funktioniert also ein wenig wie Fußball.

„Freie improvisierte Musik ist irgendwie auch linke Musik, in der Szene gibt es eher keine konservativen Nationalisten“

Bei einem Improv-Konzert ist nichts vorher geplant. Du musst von Moment zu Moment Entscheidungen treffen, die Du eigentlich gar nicht treffen kannst. Du weißt schließlich ja nicht, was deine Mitspieler als Nächstes spielen werden. Das ist schon wie beim Fußball, wo es auch viel um Intuition geht. Du musst dort beispielsweise immer wissen, wo die Mitspieler sind und den Blick für diese haben. Nicht umsonst haben Fußballer zur Stärkung ihrer Intuition mentales Training.

Wie trainieren Sie Ihre Intuition?

Durch Zen-Meditation. Dabei sitzt man viel in stiller Ruhe und versucht, sich selber mit dieser Stille zu konfrontieren. Dadurch bekommt man einen anderen Bezug zum eigenen Unterbewusstsein. Auch in der Musik musst du schließlich mit dem Unbewussten klar kommen. Den einen in der Band magst du vielleicht mehr als den anderen, mit derartigen Emotionen und Gefühlen lernst du besser umzugehen.

Frei improvisierte Musik, wie Sie sie machen, läuft in Berlin meist unter dem Etikett Echtzeitmusik. Was hat es mit dem Begriff auf sich?

Ich mag den Terminus Echtzeitmusik nicht mehr so sehr. Dessen Bedeutung hat sich in den letzten Jahren schon sehr gewandelt. Damals, Mitte der Neunziger, war er gedacht als Sammelbegriff für alle Arten von improvisierter Musik in Berlin, dazu gehörten auch Noise und improvisierte Rockmusik. Inzwischen steht der Begriff eher für einen bestimmten musikalischen Ausdruck, für den typisch Berliner Reduktionismus, für sehr kon­trollierte, stille Geräuschmusik.

Warum ist diese Bedeutungsverschiebung für Sie ein Problem?

Weil mir das andere fehlt. Und weil ich finde, so eine eigentlich disparate Szene braucht einen Überbegriff. Als es losging mit der Echtzeitmusik, zu Beginn der Neunziger in besetzten Häusern, war ich total davon fasziniert, dass da wilde Punks oder Typen mit Dreadlocks mit im Publikum saßen und sich Frickelmusik angehört haben, und danach kam eine Band, die Pogo gemacht hat.

Die Berliner Szene frei improvisierender Musiker ist noch vor London die größte in Europa. Warum kommen all die Musiker nach Berlin?

Ganz einfach: Weil hier bereits jede Menge toller Musiker sind. Wenn die Musiker erst mal da sind, dann kommen immer mehr. Unsere Musik lebt vom Zusammenspiel, und es ist einfach viel schöner, wenn man die Möglichkeit hat, auch mit den wirklich guten Leuten arbeiten zu können. Du kannst auch in einer Kleinstadt drei bis vier Leute finden, mit denen du etwas auf die Beine stellen kannst, aber die sind wahrscheinlich einfach nicht so gut wie diejenigen, auf die du hier treffen kannst. Deswegen kommen die Leute hierher. Auch wenn sie wissen, dass es hier eigentlich desaströs und furchtbar ist und man nichts verdienen kann.

Sie als renommierter Musiker Ihrer Szene bekommen das Geld für die Miete aber schon rein, oder?

Mich wundert das Monat für Monat selbst. Ich bin jetzt 53 Jahre alt und habe mein ganzes Leben lang nichts anderes gemacht als diese komische Musik, und irgendwie geht’s dann doch immer weiter. Aber auch, weil ich nebenbei noch ganz andere Jobs mache. Ohne geht es einfach nicht. Ich persönlich kenne in Berlin niemanden, der ausschließlich von seiner improvisierten Musik leben könnte, nicht einmal interna­tio­nal bekannte Größen wie Alexander von Schlippenbach. Die meisten spielen nebenbei noch Jazz-Jazz oder Klassik, geben Unterricht oder kellnern.

In einen altehrwürdigen Jazz­club wie das Quasimodo kommt jemand wie Sie auch nicht rein, oder?

Im Quasimodo war ich einmal, als ich dort als Tontechniker arbeiten durfte. Dort bräuchte ich sonst gar nicht anfragen. Und ich habe wirklich ganz ekelhafte Hassbriefe vom Berliner Jazzfestival bekommen, in denen klar drin stand: Du hier nicht. Für frei improvisierte Musik sind da alle Türen dicht. Überhaupt sind Auftrittsmöglichkeiten für frei improvisierende Musiker auf einem der vielen Berliner Jazzfestivals so gut wie gar nicht vorhanden.

Was bleibt dann?

Alles außer Berlin. In Berlin kann man gut wohnen, üben, Leute treffen, aber zum Auftreten muss man wegfahren. Und kann dann woanders auf Festivals auftreten.

Die Künstlersozialkasse hat vor Kurzem die durchschnittlichen Einkommen freier Künstler veröffentlicht. Ganz unten angesiedelt waren die Jazzer. Frei improvisierende Musiker dürften jedoch sogar noch weniger verdienen als diese. Warum machen Sie überhaupt noch Musik?

Das frage ich mich auch manchmal. Ich kann nicht anders. Ich habe mir, ohne Witz, schon mehrfach überlegt, mir mal einen Suchttherapeuten zu nehmen. Um ihm zu sagen: Hey, können Sie mir bitte helfen, von meiner Musik wegzukommen, weil sie macht mir das Leben kaputt. Ohne Hilfe vom Staat ist unsere Szene nicht überlebensfähig, sie ist vom Staat abhängig. Es ist letztlich eine gesellschaftliche Entscheidung, zu sagen: Diese Musik lassen wir überleben oder eben nicht. Das zu erkennen, ist schon hart.

Sie würden sagen, die Politik macht zu wenig für Ihre Szene?

Olaf Rupp über sein Musikerdasein „Ich habe mir, ohne Witz, schon mehrfach ­überlegt, mir mal einen Suchttherapeuten zu nehmen. Um ihm zu sagen: Hey, können Sie mir bitte helfen, von meiner Musik wegzu­kommen, weil sie macht mir das Leben kaputt“

Ich habe mir vor ein paar Jahren mal den Berliner Kulturhaushalt anschauen können. Das Verhältnis der Förderung von klassischer Musik gegenüber jeder Form von zeitgemäßer Musiker von Pop bis Neue Musik ist 1 zu 500. Wenn der Freejazzer also einen Euro kriegt, bekommen die Opernhäuser gleichzeitig 500 Euro.

Dabei ist es ja ziemlich kurzsichtig, diese Musikszene so wenig zu unterstützen, die weltweit einen einzigartigen Ruf hat.

Das ist tatsächlich unfassbar. Was auch fehlt, ist ein größeres Haus für unsere Art von Musik und ein Budget dazu. Bremen hat so ein Haus mit der Musikerinitiative Bremen, Köln auch mit dem Stadtgarten, in Danzig gibt es so etwas mit dem Klub Zak. Jedes Mal wenn ich in diesen Häusern bin, werde ich richtig neidisch. Politiker verteilen ihre Gelder ja eigentlich nicht nach persönlichen musikalischen Vorlieben, sondern es geht ihnen um Rentabilität. Und wenn man danach geht, ist es dumm, unsere Szene nicht besser zu unterstützen. Wenn man guckt, was die Improv-Szene erreichen könnte mit ein bisschen Geld – mit 20.000, mit 100.000 Euro – und das vergleicht, mit dem, was die Opernhäuser brauchen, dann stimmt da die Relation einfach nicht. Mit 100.000 Euro kauft ein Opernhaus vielleicht gerade mal einen neuen Vorhang oder ein paar Scheinwerfer, wir dagegen könnten mit so einem Betrag einiges mehr anstellen.

Verstehen Politiker vielleicht einfach nicht, was Sie da machen? Eine Musik zwischen allen Stühlen?

Vielleicht ist es sogar noch schlimmer. Freie improvisierte Musik ist irgendwie auch linke Musik, in der Szene gibt es eher keine konservativen Nationalisten oder so. Improvisierte Musik hat immer etwas mit Freiheit zu tun, mit Chaos, mit Dingen, die bestimmten Leuten einfach nicht sympathisch sind. Früher hätte ich ganz klar gesagt: Demgegenüber gibt es einfach eine große Abneigung. Heute, wo ich nicht mehr ganz so vorschnell urteile, bin ich mir nicht mehr sicher, ob da tatsächlich nicht einfach nur große Dummheit schuld an der Missachtung unserer Szene ist.

Würde es demnach nach der nächsten Wahl mit der Linkspartei an der Macht vielleicht besser laufen?

Nein, das glaube ich nicht. Die Linken kümmern sich eher um die vielleicht noch viel schlimmeren Ungerechtigkeiten in der ganzen restlichen Arbeitswelt. Kulturpolitisch wirkt die Linkspartei für mich auch eher etwas kurzsichtig. Der geht es eher um Mindestlohn und solche Sachen. Es geht ja nicht nur der Improv-Szene schlecht.

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