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DER DEFEKT von EUGEN EGNER

In einer Quizsendung des ZDF wurde eine Frage gestellt, die so schwer war, dass sie den Empfangsteil meines Fernsehers an zentraler Stelle schädigte und somit den mentalen Zusammenbruch aller Bildschirmakteure auslöste. Auf sämtlichen Kanälen bot sich das gleiche Elend: komplett desorientierte Schauspieler, Moderatoren, Politiker, Sportler, Tiere, sogar Zeichentrickfiguren saßen da wie nach einem Hirninfarkt und waren zu nichts in der Lage. Einige brabbelten vollkommen Unverständliches, andere stießen Satzanfänge aus, blieben aber nach drei oder vier Worten stecken und suchten vergebens nach Begriffen. Sinnlose, unkoordinierte Bewegungsabläufe wie von defekten Maschinen waren zu beobachten. Erschütternd, was unter solchen Umständen aus Spielszenen, Gesprächsrunden, Interviews, Dokumentationen oder Wettkämpfen wurde! In einer kulinarischen Sendung sagte der Koch dauernd: „So, jetzt brauch ich aber …“ und „Zuerst müssen wir noch …“, kam aber nicht weiter. Wenn er versuchte, die Zutaten zu nennen, brachte er nur mühsam hervor, von welcher Farbe sie waren, und nicht einmal das stimmte. Er warf Kartoffelschalen ins Essen und auf den Boden, schaltete die falschen Herdplatten ein und verbrannte sich daran.

Ich ließ einen Spezialisten kommen, der mein Gerät mitnahm, nachdem er ein intaktes Leihgerät installiert hatte. Etliche Tage vergingen, ohne dass ich etwas in der Sache hörte. Ich nahm vorlieb mit dem Leihgerät, war aber nicht zufrieden damit. Mich störte, dass es ein Rauchergerät war. Je länger es in Betrieb war, desto mehr Personen auf dem Bildschirm rauchten, sogar die „Tagesschau“-Sprecher(innen) und die Seelsorger(innen) beim „Wort zum Sonntag“. Bei Sportübertragungen nahm sich das pausenlose Zigarettenrauchen auch sehr befremdlich aus, am schlimmsten aber war es bei Kinder- und Tiersendungen.

Nach zwei Wochen ohne mein eigenes TV-Gerät rief ich bei dem Reparaturbetrieb an. Ich war aufrichtig bestürzt zu hören, dass der zuständige Techniker inzwischen im Sanatorium sei.

„Was mit Ihrem Fernseher ist, können wir noch nicht mit Bestimmtheit sagen“, erklärte mir der Chef. „Wir testen ihn im Dauerbetrieb.“

Dann wurde ich mitten in der Nacht vom Telefon geweckt. Der Anrufer gab sich als der ins Sanatorium eingelieferte Fernsehtechniker zu erkennen und schrie mir ins Ohr: „Verhindern Sie, dass Ihr Fernseher weiterhin im Dauerbetrieb getestet wird! Er muss unbedingt isoliert werden, sonst infiziert er alle, die sich in seiner Nähe befinden!“ Er gestand mir außerdem, er fühle sich von meiner Fernbedienung seelisch beeinflusst. Ich nahm sie zur Hand und drückte auf den Knopf, mit dem der Ton abgeschaltet wird – ich war den Anrufer los.

Mittlerweile sehe ich nicht mehr fern. Das Rauchergerät steht unbenutzt herum, mein eigenes wird nach wie vor in der Werkstatt getestet. Auf die Frage, wie lange es noch dauern wird, antwortet mir der Chef nur: „Zuerst müssen wir noch … Jetzt brauchen wir aber … Wie heißt das … gelb …“

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