DEN CHINESEN IST DAS REFORMTEMPO DER KP DERZEIT SCHNELL GENUG: Jeder Wandel zu seiner Zeit
Im Land von Bauern- und Kulturrevolution, wo die Studenten es einst wagten, die New Yorker Freiheitsstatue auf dem Platz des Himmlischen Friedens nachzubauen, mag manchem westlichem Beobachter die einst von Deng Xiaoping eingeführte Politik der kleinen Schritte immer noch als Fluch erscheinen. Doch die meisten Chinesen glauben heute zu wissen, dass Revolution nicht Entwicklung ersetzt, und nehmen deshalb murrend vorlieb mit dem wechselhaften Reformtempo der Kommunistischen Partei.
Die hat in den fünf Jahren seit ihrem letzten Parteitag die staatliche Wirtschaft des Landes schneller und erfolgreicher in die freie Marktwirtschaft entlassen, als es die demokratischen Regierungen in Europa nach dem Fall der Berliner Mauer vermochten. 55 Millionen Angestellte der Staatsbetriebe verloren seit 1997 ihren Arbeitsplatz. 20 Millionen Privatbetriebe wurden seither neu gegründet. Zudem sind viel mehr Menschen an dem Wandel beteiligt, als diese Zahlen verraten, da ein Großteil der ehemaligen Staatsbetriebe inzwischen privatrechtliche Eigentumsformen übernommen und sich der Marktwirtschaft angepasst hat. Das Ergebnis: Chinas alter sozialistischer Mief ist in den letzten Jahren wie im Nu verflogen. Nur auf den Parteitagen regiert er noch. Denn die atemberaubende Wirtschaftsdynamik wird von politischen Reformen im Schneckentempo begleitet.
Auf ihrem 16. Parteitag lässt die KP als Fortschritt feiern, dass ein Führungswechsel an der Parteispitze erstmals in geordneten Bahnen und ohne Herabsetzung des Vorgängers erfolgt. Westliche Kritiker halten das nicht für ausreichend. Die Partei müsse weitere politische Reformen einleiten, sonst würden Korruption und Missmanagement den Fortschritt besiegen. Doch in China kommt die Kritik bislang nicht an. Die Menschen haben genug damit zu tun, sich auf die wirtschaftlichen Veränderungen einzustellen. Für sie ist es von größerer Bedeutung, dass sich die Partei aus Firmen und Arbeitseinheiten und damit aus dem Privatleben des Einzelnen zurückgezogen hat. Nun trägt sie die pragmatische Einsicht, dass keine Regierung ihnen auf absehbare Zeit helfen kann.
Für die KP bedeutet das einen wichtigen Zeitgewinn. Ohne unmittelbare Gefahr für ihre Herrschaft kann jetzt eine neue Führungsgeneration die Regierungsgeschäfte übernehmen. Ihr Aufgabenfeld aber hat sich geändert. Die wirtschaftlichen Reformen sind auf dem Weg. Wenn Dengs Politik der kleinen Schritte also weitergeführt wird, dürfte der Ruf nach politischen Reformen bald aus der Partei kommen. GEORG BLUME
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