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DEBATTEEin sich selbst fremdes Volk

■ Die derzeitige Asyldebatte verhindert die Positionsbestimmung im Einwanderungsland Bundesrepublik

Wenn marodierende Haufen andere Menschen mit Brandstiftung und Totschlag überziehen, einerlei ob in Ost- oder Westdeutschland, so ist das keine Frage des Asylrechts, sondern, ganz elementar, der „Bewohnbarkeit der Bundesrepublik“, wie Hans Magnus Enzensberger formulierte. Ein klarer Fall für die Polizei. Jedenfalls solange am Tatort Gefahr im Verzuge ist. Wo die Träger des Gewaltmonopols indes stiften gehen, hat die Politik allen Anlaß, vor der eigenen Tür zu kehren. Statt dessen beiläufiges Trostgestammel und schrille Töne, die einer Asylrechtsänderung das Wort reden — politisch verroht, schamlos.

Es gibt viele Arten, ein Grundrecht zu zerstören. Die meisten davon werden in diesen Tagen als neu entbrannte „Asyldebatte“ feilgeboten, nunmehr sekundiert von einer kopflosen SPD-Führung. Ob es sich um die einfach gesetzliche Abschreckung durch Verfahren handelt, so die Strategie der am 1.Juli 1992 in Kraft getretenen „Beschleunigungsnovelle“, oder ob jetzt, da dies ausgereizt erscheint, endlich Hand ans Grundgesetz selbst gelegt werden muß, wie die Demagogen und Populisten behaupten (jene Leute also, die sich populistisch auf die ekelhaften Resultate der Demagogie berufen, die sie zuvor entfachten — und umgekehrt): Was als „Änderung“ des Grundgesetzes daherkommt, zielt im Kern darauf ab, unseren „überforderten“ deutschen Mitbürgern die frohe Botschaft zu verkünden, ihr neues Deutschland werde ihnen in Kürze durch Ausländerbereinigungsgesetze zurückerstattet. Weshalb — das gebieten die nicht zuletzt selbstverschuldeten Sachzwänge— möglichst alle (so Neonazis bis REPs), möglichst viele (CSU), eine ganze Menge (CDU) oder doch wenigstens verhältnismäßig viele (SPD) Ausländer verschwinden müssen.

Weltanschaulicher Fundamentalismus

All das sind untaugliche Versuche, deren Scheitern nicht schwer vorherzusehen ist. Das Asylrecht mag noch so demontiert oder gar in seinem rechtlich unantastbaren „Wesensgehalt“ (vgl. Art. 19 Abs. 2 GG) beseitigt werden. Der Zustrom aber, den man zu „kontrollieren“ vorgibt, wird dadurch nur verschoben — um sich in der Illegalität verschlungenere Wege zu suchen. Die große Völkerwanderung ist nicht aufzuhalten, bestenfalls auf zivile Weise zu kanalisieren. Das ist die elementare Einsicht in Sachen Asyl. Ausländer„feinde“, aber auch -„freunde“ werden sich ihr wohl oder übel zu stellen haben.

Weil die maßgeblichen politischen Kräfte hierzulande weder willens noch imstande sind, ein friedliches Mit- und Nebeneinander von Ausländern und Deutschen pragmatisch zu regeln, dominiert weltanschaulicher Fundamentalismus die Szene. Ausländerfreund oder -feind? — lautet die aus Lagermentalität gespeiste Bekenntnisformel. Eben weil in Gestalt der Asyldebatte die Glaubensfrage Multikulturelle Vielvölkerrepublik oder homogene deutsche Volksgemeinschaft ausgefochten wird, hat praktische Vernunft einen schweren Stand. Das xenophobe „Ausländer raus!“ ebenso wie das xenophile „Macht hoch die Tür!“ sind zwei Seiten ein und derselben Münze: die deutsche Einheit eines sich selbst fremden Volkes im allemal befangenen Umgang mit den Fremden.

Es gibt viele Arten, ein Grundrecht zu zerstören. Eine der perfidesten Varianten liegt darin, ein wirtschaftlich attraktives Land wie die Bundesrepublik für Immigranten dichtzumachen. Mit einer einzigen Ausnahme — dem Nadelöhr „Asyl“. Kein Wunder, wenn sich da viele Menschen aus aller Herren Länder fürs erste an die einzige legale Möglichkeit halten, Einlaß zu bekommen. Das wiederum garantiert unseren Unionschristen, daß ihr Mißbrauchsargument Spurenelemente von Wahrheit enthält. (Die einzige bereits bestehende, verfassungsunmittelbare Schranke enthält übrigens Art. 18 GG: Danach verwirkt derjenige das Asylrecht, wer unter anderem dieses „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht“ — was heute freilich keinen politischen Gebrauchswert hat.)

Wer es nicht nur im Herzen gut meint mit den Fremden, sollte sich nicht in den Unsinn versteigen, die Tatsache der Wirtschaftsflüchtlinge und folgeweise: der „Scheinasylanten“ zu leugnen. So verständlich auch der Impuls ist, dem dumpfen Ressentiment des politischen Gegners, seiner subtilen, an Volksverhetzung grenzenden Asylpropaganda etwas „Ausländerfreundliches“ entgegenzuhalten, so fatal ist es, dem Brett vorm Kopf der anderen ein eigenes seitenverkehrt anzupassen.

Wenn es richtig ist, daß das 20.Jahrhundert das der Lager und Bürgerkriege, des Völkermordes und des Hungertodes, kurz: das „Zeitalter des Massenexodus“ (Otto Kirchheimer) ist, dann kann sich niemand daran vorbeimogeln, daß die Wohltat des politischen Asyls, das einst Attentätern und Sozialrevolutionären großherzig gewährt wurde, auf das Phänomen der großen Völkerwanderung nicht umstandslos übertragbar ist. Hier liegt das Problem, das niemand einfach „löst“. Wer auf „europäische Gesamtkonzepte“ oder gar auf die weltweite „Beseitigung von Fluchtursachen“ verweist, flüchtet in globale Postulate, wo innenpolitische Phantasie gefragt ist — hier und heute.

Die kaum prognostizierbaren Zyklen des Massenexodus werden weder an Deutschland vorbeigehen noch in ihm ein Ende finden. Deshalb bleibt nichts übrig, als einen konkreten, zunächst nationalstaatlich verantworteten Beitrag zur Krisenverwaltung zu entwickeln (was internationale Kooperation keineswegs ausschließt). Diese Debatte hat kaum erst begonnen, ihr Ergebnis ist ungewiß. Eins aber liegt auf der Hand: Selbst wenn wir die menschenfreundlichste Asyl- und Einwanderungspolitik einer optimal besetzten Regierung unterstellen wollten — irgendwann stößt jede noch so redliche, alle institutionellen Kräfte und Ressourcen, gesellschaftliche Solidarität und Phantasie mobilisierende Integrationspolitik an Schranken. Diese sind nicht nur ökonomischer, sondern auch kultureller und sozialpsychologischer Art.

Eine unsentimentale Debatte ist unumgänglich

Deutschland kann also nicht (ebensowenig wie jedes andere Land) „die Probleme der Welt lösen“. Diese Banalität wird indes absurd, sofern sie die ideologisch bornierte Alternative „keiner oder alle“ nahelegt. Die entscheidende Frage lautet: Wie viele Fremde kann und will sich das neue Deutschland heute und auf lange Sicht zutrauen?

Die rationale, unsentimentale Diskussion von Einwanderungsquoten ist daher unumgänglich. Erst wenn solche und andere Regelungen den Druck auf das Asylrecht nicht nennenswert entlasten, wäre eine Verschärfung des Asylverfahrens und schließlich eine Einschränkung des Art.16 Abs.2 GG ebenso skrupulös zu prüfen, wie sich das bei jedem Grundrecht gehört. Ganz gleich aber, ob mit großzügigem oder restriktivem Asylrecht — diese Gesellschaft muß so oder so die Spielräume und Grenzen ihrer Aufnahmekapazität aushandeln und bestimmen.

Diejenigen hingegen, die heute aus durchsichtigen Gründen vortäuschen, sie könnten uns vor Überfremdung bewahren, machen die Rechnung ohne unsere „überforderten“ deutschen Mitbürger: rückte doch die Brandnacht von Rostock ins grelle Licht, daß die kochende Volksseele ganz und gar undankbar ist und an der überstürzten Statuierung „ausländerfreier Zonen“ einmal mehr den feigen Übermut ihres militanten Knechtssinns entzündet. Bevor also die Unionschristen nicht bereit sind, ein Einwanderungsgesetz, das volle Wahlrecht für Ausländer, das noch immer deutschblütige Staatsangehörigkeitsrecht, Möglichkeiten der Einbürgerung oder einen besonderen Aufenthaltsstatus für Kriegsflüchtlinge in Erwägung zu ziehen, gibt es mit ihnen keine einzige Asylfrage zu diskutieren. Horst Meier

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