: DDR-Psychiatrie
■ betr.: "Schwermut einer verlorenen Wirklichkeit", taz vom 4.8.90
betr.: „Schwermut einer verlorenen Wirklichkeit“, taz vom 4.8.90
Eine Gesellschaft muß sich daran messen lassen, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern umgeht. An dieser Bewußtseinsbildung und an der Überwindung des Schubkastendenkens - Alte in Pflegeheime, Behinderte in Anstalten, Asoziale in den Knast - mitzuwirken, ist Aufgabe der Medien. Deshalb bin ich dankbar, wenn die taz sich dieses Themas annimmt.
Als langjähriger Mitarbeiter des „Griesinger“ muß ich jedoch sagen, dieser Artikel ist einseitig und wird den tatsächlichen Entwicklungen und Bedingungen nicht gerecht.
Das Griesinger Krankenhaus ist heute, trotz 40jähriger verfehlter Gesundheitspolitik, trotz schlimmster Baubürokratie und trotz chronischer Mangelwirtschaft, ein funktionstüchtiges Krankenhaus mit wesentlich verbesserten Betreuungsbedingungen, mit modernen diagnostischen Geräten und mit guten bis sehr guten Therapieansätzen und -erfolgen. Diese sind weniger einem klug leitenden und verteilenden Staatsorgan zu verdanken als vielmehr dem Engagement, dem Fleiß und der Motivation der Leitung und Mitarbeiter dieser Klinik.
Unter schwierigsten „sozialistischen“ Bedingungen wurden in den letzten 15 Jahren acht Klinikhäuser rekonstruiert, modernisiert oder neu gebaut. Die Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten verbesserten sich dadurch wesentlich.
Mannshohe Zäune bei bestimmten Krankheitsbildern sind auch in der BRD noch notwendig, leider auch, um die Patienten vor den Belästigungen durch die Bevölkerung zu schützen. Ansonsten sind wir ein sehr offenes Krankenhaus, dank des desolaten Zustandes unserer äußeren Einfriedung.
Aber nicht nur die äußeren Bedingungen haben sich geändert. Mitarbeiter engagieren sich über das geforderte Maß hinaus, um Patienten nicht nur aufzubewahren, sondern vor allem auch zu fördern und therapeutisch zu betreuen. Gerade in den genannten Häusern 31 und 29 (fälschlicherweise als 32 bezeichnet) bemüht sich ein junges, engagiertes Kollektiv mit Erfolg, Schwerstbehinderte nach neuesten Erfahrungen zu betreuen und zu fördern.
Auch in der Geropsychiatrie hat sich durch Umzug in andere Klinikgebäude die Situation erheblich verbessert. Durch Musik-, Spiel- und Basteltherapie werden Patienten motiviert und betreut.
Von all dem kein Wort in ihrem Bericht. Damit wir uns richtig verstehen, wir wollen nicht gelobt werden, erwarten aber eine gerechte und allseitige Darstellung.
Noch eins, das Gesundheitswesen war nie mit materiellen und finanziellen Mitteln gesegnet. Aber seit dem 1. Juli gibt es überhaupt kein Geld mehr. Sind es wieder die ökonomischen Zwänge (nur eben diesmal die marktwirtschaftlichen), die das Gesundheitswesen und dann erst recht die Psychiatrie ins Abseits rutschen lassen?
Ebenso kein Wort über das mögliche Aus der Rehabilitation psychiatrisch und suchtkranker Patienten, eine in diesem Lande und vor allem in dieser Klinik gewachsenen und geförderten Therapieform, die es wert ist, in die neue Zeit mit hinübergenommen zu werden. Die finanzielle Lage bedroht jetzt schon die Rehabilitation, und die künftig für uns gültige bundesdeutsche Gesetzgebung kennt diese Therapieform nicht. (...)
Detlev Strauß, Berlin-Ost
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