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DDR-Produkte werden verschleudert

■ DDR-Warenlager müssen bis zur Währungsunion geräumt werden / Großhandel nimmt Betrieben keine Waren mehr ab / Produzenten verschleudern die Waren in Ost-Berlin zu Tiefstpreisen auf Märkten und belebten Plätzen / Angst um Arbeitsplätze grassiert bei Produzenten

Ost-Berlin. Gestern mittag auf dem Alexanderplatz. Auf dem Areal herrscht ein Gewimmel, wie es früher nur bei größeren Volksfesten anzutreffen war. Jeder bietet hier alles feil der eine mehr, der andere weniger legal. Rumänische Händler haben Unterhaltungselektronik aus Fernost im Angebot, ein Westberliner Fleischermeister verkauft Bratwurst vom Grill, und unmittelbar vor dem Centrum-Warenhaus stehen zirka zwanzig Verkaufsstände im Karree - gleichermaßen belegt von privaten wie von „Centrum„-Händlern.

Doch die, die hier die Ware an den Mann bringen, sind nichts weniger als beruflicher Händler. Eine der Verkäuferinnen zur taz: „Wir kommen vom VEB Täschner- und Metallwaren Köpenick. Bei uns quellen die Lager über, der Großhandel nimmt nichts mehr ab - angeblich herrscht kein Bedarf an unseren Produkten.“

Gegen dreizehn Uhr bahnt sich ein Lastkraftwagen durch die Menge und macht mitten auf dem Platz Halt. Binnen weniger Minuten ist der Alex um einen weiteren Verkaufstand reicher

-im Angebot sind nun auch Umhängetaschen, Handtaschen, Koffer. Die Preise sind verlockend, teilweise um die Hälfte niederiger als auf den Packzetteln angegeben - das Geschäft floriert.

Der Andrang straft den Großhandel Lügen, die Leute kaufen, was das Zeug hält. Sicher sind daran auch die überaus verbraucherfreundlichen Preise „schuld“.

Diese Episode ist kein Einzelfall. Immer mehr Betriebe greifen zur Selbsthilfe, stellen sich wie weiland die mittelalterlichen Handwerksmeister wieder selbst auf den Markt um ihre Produkte anzupreisen. Schon vor Wochen haben Schuhhersteller mit einer spektakulären Aktion in der Volkskammer auf die Misere aufmerksam gemacht, sie waren auch die ersten, die zum „Direktverkauf“ übergingen.

Doch auch der Großhandel ist in einer schwierigen Lage, die Geschäfte und Kaufhäuser wollen allemal die bessere und buntere Ware aus dem Westen; mit qualitativ schlechteren Ost -Produkten zu überhöhten Preisen möchte sich niemand mehr belasten. So werden jetzt die Lager geräumt, die Ost-Waren werden zu Preisen verschleudert, die in keinem Verhältnis mehr mit irgendwelchen tatsächlichen Werten stehen. So wirbt das Centrum-Warenhaus am Hauptbahnhof damit, daß dort alles um die Hälfte billiger sei - teilweise ist das noch eine verschämte Untertreibung.

So fiel beispielsweise der Preis eines in der DDR produzierten Schwarz-Weiß-Fernsehgerätes innerhalb kürzester Frist von über zweitausend auf sage und schreibe 229 Mark der DDR. Nur raus damit, scheint die Devise der Händler zu heißen - raus damit bis zur Währungsunion, später werden wir das Ost-Zeug sowieso nicht mehr los.

Was dann im Angebot sein wird, auch dafür bietet das Warenhaus einen Anschauungsunterricht. Da hängt dann immer schon mal neben den grob-baumwollene DDR-Unterhosen die neuen, seidig-glänzenden Langbeiner made in Switzerland; liegt neben der um die Hälfte preisgesenkten Esda-Socke das bunt etikettierte Fußkleid der Marke „Crönert“.

Je näher das magische Datum des zweiten Juli rückt, desto unruhiger werden die Mitarbeiter in vielen Ostberliner Betrieben. Denn dann wird es sich ohne Wenn und Aber zeigen, welche Betriebe noch eine Überlebenchance haben, und wer der westlichen Konkurrenz erbarmungslos unterlegen sein wird. Dann werden solche Verkaufsaktionen, wie sie zum Beispiel seit Tagen auch von der Ostberliner Weingroßkellerei durchgeführt werden, nicht mehr weiterhelfen. Auch dort füllten sich die Lager, der Absatz stagnierte, die Produktion mußte gedrosselt werden. Als letzten Ausweg sah man auch hier nur noch den Direktverkauf, das Verkaufen um fast jeden Preis. Reiner Schult, einer der Weinverkäufer wider Willen: „Sicherlich läuft das fast auf ein Verschleudern heraus - aber was sollen wir machen. Zur Zeit arbeiten wir nur noch einschichtig - und der Tag ist abzusehen, an dem wir, mangels Absatzes, die Produktion ganz einstellen müssen. Mit dem Straßenverkauf kämpfen wir buchstäblich um den Erhalt unserer Arbeitsplätze.“

Olaf Kampmann

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