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DDR-BürgerrechtsbewegungWenn Mut in Vergessenheit gerät

Der Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte ist heute so dringend wie damals in der DDR. Aber das Erfahrungswissen schwindet.

Demonstranten stehen am 11. Dezember 1989 auf dem Balkon des Stasi-Gebaeudes „Runde Ecke“ in Leipzig Foto: Archivbild Udo Weitz/ap

Die Bürgerrechtsbewegung in der einstigen DDR, zu deren bekanntesten Figuren Gerd Poppe zählte, ist aus der deutschen Erinnerungskultur so gut wie verschwunden. Kaum noch vorstellbar ist heute, wie viel persönlicher Mut in den 1980er Jahren nötig war, um sich in der „Deutschen Demokratischen Republik“ öffentlich gegen das SED-Regime zu stellen. Ob in der 1986 gegründeten „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ von Gerd und Ulrike Poppe, Wolfgang Templin, Bärbel Bohley und anderen, oder in den vielen anderen Untergrundgruppen, die teils unter dem Dach der evangelischen Kirche, teils unabhängig davon tätig waren: Man musste sich auf alles gefasst machen – Überwachung, Schikanen, Verfolgung, Zersetzung, Übergriffe, Zuführung, Verhör, Verurteilung, Inhaftierung, Zwangsexil. Manche zerbrachen daran. Andere gingen daraus gestärkt hervor, als die DDR urplötzlich zusammenbrach, nur wenige Jahre später.

Der Grundimpuls der DDR-Bürgerrechtler war mehrheitlich nicht, die DDR zu zerschlagen und sich stattdessen dem „Westen“ anzuschließen. Es ging darum, dass die DDR ihre eigenen Gesetze und ihre eigene Verfassung achten sollte, also Menschen- und Bürgerrechte. Der SED-Unrechtsstaat, der Staatsterror gegen Andersdenkende, die Militarisierung und erzwungene Konformität von klein auf sollte einer wahren demokratischen Alternative weichen, die persönliche Freiheiten schützt. Inwieweit dafür ein wie auch immer gearteter Sozialismus nötig wäre, wie ihn die DDR offiziell predigte, war Gegenstand von Dauerdebatten.

Die waren unvollendet, als im Herbst 1989 Millionen von Menschen in der DDR für Freiheit auf die Straßen gingen und das Regime schließlich zwangen, die Grenzen zu öffnen und das SED-Machtmonopol zu lockern. Als im Winter die Häftlinge freikamen, die Zwangsausgewiesenen aus Westdeutschland und Großbritannien heimkehren durften und freie politische Betätigung möglich wurde, waren die Bürgerrechtler am Ziel – und zugleich waren sie machtlose Zuschauer einer Umwälzung, die alle zu überrollen schien.

Im Schloss Schönhausen im Bürgerpark Pankow in Berlin machten sich Anfang 1990 führende Figuren der Bürgerrechtsbewegung gemeinsam mit Reformkräften der SED und anderen wichtigen Stimmen an einem Runden Tisch daran, eine neue Verfassung für eine demokratische DDR auszuarbeiten. Doch als die Verfassung fertig war, interessierte sie schon niemanden mehr. Bei den parallel angesetzten ersten freien DDR-Wahlen am 18. März 1990 landete das Bündnis 90 der Bürgerrechtsgruppen bei kläglichen 2,9 Prozent der Stimmen – Sieger war die Ost-CDU, die eine schnelle Wiedervereinigung wollte. Der fertige Verfassungsentwurf wurde nicht einmal mehr in die neu gewählte Volkskammer eingebracht. Gerd Poppe durfte ihn schließlich, wie die taz damals bemerkte, „in der dem Gegenstand unangemessenen Form einer Aktuellen Stunde“ präsentieren; zur Abstimmung wurde er nicht mehr gestellt.

Idee einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik

Die DDR-Bürgerrechtler zerstreuten sich danach politisch und menschlich in alle Winde. Aber das „Bündnis 90“ gibt es noch heute, als Bestandteil der Grünen, die bei der ersten gesamtdeutschen Wahl Ende 1990 nur als Listenvereinigung zwischen DDR-Grünen und Bündnis 90 in den Bundestag kamen, im Westen waren sie unter 5 Prozent gelandet; 1993 erfolgte der formale Zusammenschluss. Dadurch hat auch der Freiheitsimpuls der DDR-Bürgerrechtsbewegung bei den Grünen eine politische Heimat gefunden, in Form der Idee einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik.

Auch das war nicht leicht. Die frühen 1990er Jahre waren eine Zeit, als die Westgrünen mehrheitlich sogar noch gegen die Stationierung von UN-Blauhelmen in Bosnien waren, die die bedrohte Zivilbevölkerungen vor Terrormilizen schützen sollten. Es blieb Ostgrünen wie Gerd Poppe überlassen, sich für die bedrohten Menschen einzusetzen. Seine Position obsiegte, doch der Streit prägt außenpolitische Debatten in Deutschland bis heute, wie an der Ukraine zu erkennen ist. Dieselben vermeintlich realpolitischen Kräfte im Westen, denen vor 40 Jahren die Verständigung mit den Diktatoren des Ostens wichtiger war als die Solidarität mit den Unterdrückten, ziehen heute die Verständigung mit Putin der Verteidigung der freien Ukraine vor.

Der unerschrockene Einsatz für Bürger- und Menschenrechte gegen die Mächtigen ist heute weltweit genauso aktuell wie damals, zu den Zeiten des Untergrunds in der DDR. Und mit jedem Todesfall aus den Reihen der alten Bürgerrechtler verliert Deutschland eine weitere Stimme, die dazu aus eigener Lebenserfahrung beitragen konnte – eine Lebenserfahrung, die eigentlich zentral sein müsste für ein progressives politisches Selbstverständnis in Deutschland heute, von der aber kaum noch jemand etwas weiß.

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1 Kommentar

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  • Wieder ein ausgezeichneter Artikel von Dominic Johnson. Danke.