DAS UNO-TRIBUNAL MÜSSTE AUCH HISTORISCHE FÄLLE VERFOLGEN: Exempel Kissinger
Das Urteil gegen Radislav Krstić wegen Völkermord in Srebrenica ist ein Meilenstein für die Entwicklung des Völker(straf)rechts.
Die strafrechtliche Verantwortung für diesen Völkermord liegt allein bei den unmittelbaren Tätern und ihre Befehlsgebern in Belgrad. Politisch mitverantwortlich und möglicherweise der unterlassenen Hilfestellung schuldig sind allerdings die Nato-Staaten USA, Frankreich und Deutschland. Sie waren erwiesenermaßen bereits Wochen vorher über die Vorbereitungen für den serbischen Eroberungsfeldzug gegen die UNO-Schutzzone Srebrenica informiert, der dem Massaker unmittelbar vorausging. Die Regierungen der USA und Frankreichs hintertrieben zudem nachweislich einen rechtzeitigen Einsatz der Nato, um die Eroberung der UNO-Schutzzone zu verhindern. Solange das Tribunal diesen Teil der Geschichte nicht aufklären kann, weil Washington, Paris und Berlin weiterhin wichtige Beweise und Zeugen zurückhalten, bleibt ein dunkler Schatten auf seinen Urteilen zu Srebrenica. Dieser Kritik muss sich das Tribunal stellen. Unberechtigt hingegen ist der Vorwurf der „Einseitigkeit“. Nach allen Erkenntnissen ist der „serbische“ Anteil an den Verbrechen mit Abstand der größte. Gemessen daran hat das Tribunal bislang sogar überproportional viele Kroaten und Muslimen angeklagt oder bereits verurteilt.
Wenn das Tribunal ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, dann weil mutmaßlich Verantwortliche für andere Verbrechen der letzten 50 Jahre bislang nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Etwa der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger. Ein Journalist hat kürzlich umfangreiche Materialien vorgelegt, die Kissingers Verantwortung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen in Vietnam, Kambodscha, Chile, Osttimor und Zypern beweisen. Laut Völkerrecht und nationaler Gesetzgebung fast aller Staaten sind dies Verbrechen, die nicht verjähren. Kissinger müsste angeklagt werden. Erst wenn das geschähe, wüchse die Unterstützung für das Tribunal und einen künftigen Internationalen Strafgerichtshof. ANDREAS ZUMACH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen