DAS AMERIKANISCHE KRUXIFIX-URTEIL WIRD KEINEN BESTAND HABEN: George und Jesus
Gott sei Dank: Nun haben auch die USA ihre Kruzifix-Debatte. Löste in Deutschland das Verfassungsgerichtsurteil von 1995, das Kruzifixe in bayerischen Klassenzimmern für unzulässig erklärte, heftigste Reaktionen aus, polarisiert nun eine Entscheidung eines Gerichts in San Francisco die US-Debatte. Denn es erklärt, der Fahneneid auf „eine Nation vor Gott“ verstoße gegen den Ersten Verfassungszusatz. Das Urteil passt in die politische Landschaft der USA wie eine Portion Senf auf einen Schokoladenpudding. In keinem anderen Industrieland sind politische und religiöse Rhetorik, Patriotismus und christliches Glaubensbekenntnis so miteinander verquickt. Seit dem 11. September hat das alles einen gehörigen Aufschwung erlebt. Soll nun ausgerechnet der Fahneneid, täglich millionenfach von Schulkindern heruntergebrabbelt, verfassungswidrig sein?
Schon der Wahlkampf vor zwei Jahren war von religiösen Motiven geprägt, obwohl die Hochzeiten der rechtskonservativen „Christian Coalition“ innerhalb der Republikanischen Partei bereits vorüber waren. Da antwortete der Kandidat George W. Bush auf die Frage, welcher Philosoph ihn am meisten geprägt habe, stilblütensicher mit „Jesus“, und auch der demokratische Vizepräsidentenkandidat Joe Lieberman – der erste Jude, der für dieses Amt kandidierte – rief in einer Rede in 90 Sekunden 13-mal den Herrgott an. 70 Prozent der Amerikaner gaben bei Umfragen an, es sei für sie wichtig, dass ihr Präsident gläubig sei.
All das macht deutlich, wie schwer der Kampf um die Trennung von Staat und Religion ist. Und darin liegt das Problem dieses Urteils. Rechtlich wird das Urteil vor dem Obersten Gerichtshof kaum Bestand haben, politisch ist die Gegenwelle größer als der Zuspruch. Gerade während des anstehenden Wahlkampfs wird sich die gesamte politische Klasse gegenseitig darin übertrumpfen, den Richterspruch zu verdammen. Das Gericht hat dem Anliegen eines laizistischen Staates keinen Dienst erwiesen. Denn: Der Anlass ist zu klein, das Thema zu groß und die Instanz zu unbedeutend.
BERND PICKERT
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