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Cutterin über Glawoggers letzten Film„Vieles hat jetzt einen Sinn ergeben“

Der Regisseur Michael Glawogger wollte Lebensmomente einfangen – und starb bei der Arbeit an „Untitled“. Die Cutterin Monika Willi hat ihn vollendet.

Die Welt mit anderen Augen sehen – ein dummes Klischee, das in Michael Glawoggers Film „Untitled“ tatsächlich Wirklichkeit wird Foto: lotus film
Interview von Dennis Vetter

Zwischen Dezember 2013 und ­April 2014 filmten Michael Glawogger und sein Kameramann Attila Boa auf dem Balkan, in Italien und in Afrika rund 70 Stunden Material für einen Film „ohne Thema“. Glawoggers Lebensreise, die auch eine Suche nach Weltbildern war, endete 2014 wegen einer Malariaerkrankung ganz unvermittelt in dem Ort Harper in Liberia. Nach Glawoggers Tod lag die Verantwortung für das Material bei der Cutterin Monika Willi. Über zwei Jahre hinweg stellte sie daraus einen Film zusammen. Wie sie sagt, folgte sie einen Drang, regelrecht einen inneren Zwang, die letzten Bilder eines der größten Dokumentaristen der Gegenwart nicht versanden zu lassen, sondern sie zu einem Film zu fügen, der sich an den Menschen erinnert und ihn gleichermaßen weiterdenkt, weiterreisen lässt. Einem Film, der nicht zur Ruhe kommen will.

taz: Frau Willi, zwischen dem Tod von Regisseur Michael Glawogger während seiner Dreharbeiten in Liberia 2014 und der Fertigstellung von „Untitled“ liegen zwei Jahre. Sie beschrieben das in Gesprächen immer wieder als sehr intensive Phase. Im Februar hatte der Film bei der Berlinale Premiere. Wie haben Sie die Zeit seitdem und den Umgang mit dem fertigen Film erlebt?

Monika Willi: Das Schöne ist, dass es viele Festivaleinladungen gab und gibt, viel Resonanz und viel Interesse. Persönlich war es im Nachhinein betrachtet eine schwierige Zeit, sie ist es immer noch. Weil man einfach immer wieder nicht nur den Tod verhandelt, sondern sich auch ein wenig hinter einem großen Toten verliert. Ich habe schwer unterschätzt, was das mit einem tut. Das ist jetzt natürlich Jammern auf hohem Niveau, denn es ist wirklich großartig, zu erleben, wie das alles vielleicht auch Sinn ergeben hat.

Gab es überraschende Reaktionen auf den Film?

Die erstaunlichste Frage war neulich in Köln, bei Filmplus. Montagvormittag, in einer Schulvorstellung hat mich ein 14-jähriger Junge mit coolem Cappy sehr lässig gefragt, warum wir Michael nicht beim Sterben gefilmt haben. Einfach so. Oder man bekommt E-Mails, ungefragte Kritik am Rohschnitt, adressiert an Michael. Die vielen Spielarten, mit dem Tod umzugehen.

Real Fiction
Im Interview: Monika Willi

geb. 1968 in Innsbruck, ist eine österreichische Filmeditorin, die viel mit den Regisseuren Michael Glawogger (u. a. „Frankreich, wir kommen!“, „Workingman’s Death“, „Contact High“, „Whores’ Glory“) und Michael Haneke (u. a. „Die Klavierspielerin“, „Wolfzeit“, „Das weiße Band“, „Liebe“, „Happy End“) zusammengearbeitet hat.

Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Nominierungen und Preise. „Untitled“ ist ihre erste Co-Regiearbeit.

War es Ihnen unangenehm, immer wieder über Michael Glawogger sprechen zu müssen?

Ich will ja über Michael sprechen. Und natürlich sprechen wir über seine Idee und den Beginn seines Films. Er war so ein wundersamer Mensch. Man ist kaum aus dem Flieger ausgespuckt, schon sind all diese Geschichten da. Egal ob das jetzt eine Praktikantin in Polen ist oder ein langjähriger Festivalleiter in Hongkong: sie alle haben ihre Geschichten mit Mi­chael. Ich glaube, dass viele Menschen ein klein wenig die Hoffnung hatten, durch mich ein Stück des Weges weiter mit ihm gehen zu können. Das können sie aber nicht, ich kann das nicht leisten, das kreiert Enttäuschung. Die Konfrontation mit dem Tod ist sozusagen das eine, das Am-Leben-Erhalten das andere.

Wenn Sie gefragt wurden, haben Sie nie einen Hehl da­raus gemacht, dass es große Unsicherheiten bei der Arbeit mit dem Material gab. Haben sich denn einige Zweifel als berechtigt erwiesen? Oder ihre Hoffnungen, dass der Film auf eine gewisse Weise funk­tioniert? Haben Sie vielleicht auch Trugschlüsse in Ihrer Arbeit aufgespürt?

Ich war manchmal von meinem eigenen Mut überwältigt, das gemacht zu haben und es auch erbeten zu haben. Im Nachhinein gibt es Stellen, die ich gerne noch mal aufmachen und ändern würde, aber das ist bekannt unter Filmemachern. „Untitled“ in der jetzigen Form ist eine von vielen Möglichkeiten. Ich verspüre allerdings große Lust, zwei Teile noch zu bearbeiten, es wären wohl eher kurze Experimentalfilme. Bilder, die mehr mit mir zu tun haben. Die Vielfalt ist groß, auch die Lust, zu sagen: „Jetzt brauchen wir noch mal etwas ganz Wildes!“

Wie war denn die Kommunikation mit Attila Boa beim Schnitt des Films? Wurde da sehr um die Bilder gerungen?

Attila und ich hatten einen intensiven Austausch über die grundsätzliche Konstruktion des Films. Besonders zur Lichtbestimmung gab es recht heftige Auseinandersetzungen, und er hat am Ende recht ­behalten. Es waren diese Kämpfe, die im Nachhinein betrachtet gut und notwendig sind. Wir gehen wohl auch sehr unterschiedlich mit Michaels Tod um. Attila war mir eine große Stütze mit seinem messerscharfen, glasklaren Blick auf die Welt und damit, wie er Dinge sieht und einordnen kann. Er hat auch ein sehr großes Vermögen, darüber zu sprechen.

Der Film

„Untitled“ läuft ab Donnerstag, 26. 10., in den Kinos. Regie: Michael Glawogger und Monika Willi. Österreich/Deutschland 2017, 107 Min.

Und das verbliebene Material?

Es gab im Vorfeld großes Interesse, das gesamte Material eins zu eins zu archivieren und zugänglich zu machen. Das würde ich für dieses Material nicht wollen. Diese für Michael und seinen Kameramann Attila Boa neue Arbeitsweise, die daraus entstandenen Bilder gehören in den heiligen Schneideraum und sonst nirgendwohin.

Im Film spielt das Träumerische immer wieder eine Rolle, es wird auch in Michael Glawoggers eingeblendeten Texten deutlich thematisiert. Wie verhält es sich in diesem Film mit dem Sinn für das Reale?

Das Reale, das ist natürlich schwierig für jemanden, der mit ihm gearbeitet hat. Michaels Ansinnen war ja nie zu behaupten: „Das ist die Wirklichkeit.“ Die Intention war eher, Lebensmomente einzufangen, in all ihrer Normalität, vielleicht auch in ihrer Banalität. Das Empfinden dafür und das, was es mit einem tut, haben letztendlich immer mehr mit einem selbst zu tun, mit der eigenen Lebenserfahrung, mit der eigenen Filmerfahrung, mit der Art und Weise, wie man sich mit der Welt, dem Leben, den Menschen, der Kunst auseinandersetzt.

Tod und Leben, sind das für Sie Gegensätze?

Ich glaube nicht, dass Leben und Tod Gegensätze sind. Was ich gelernt habe in den letzten Jahren, in denen ich schon mit vielen Toden konfrontiert wurde, ist, dass es immer wieder erstaunlich ist, wie wir mit der einzigen Gewissheit unseres Lebens – es ist wirklich die einzige – so schlecht zurande kommen. Das eine bedingt das andere. Nicht nur bedingen, es ist ein Kreislauf. Es ist kein Gegensatz, beide gehören zueinander.

Ist der Film für Sie spirituell?

Meine wunderbare Freundin [die Schriftstellerin; Anm. d. Red.] Eva Menasse, hat mir nach der Berlinale-Premiere gesagt: „Na, deine katholischen Wurzeln kannst echt nicht leugnen.“ Wenn man von einer Speisenweihe in Serbien auf einen Fischmarkt in Afrika und dann in die Wüste schneidet, dann ist das natürlich biblisch aufgeladen, ohne aber hoffentlich zu sehr aufs Auge zu drücken. Die reichhaltigen Facetten des Materials, die eigene Persönlichkeit kann man schwerlich auslassen. Für Michael war die Religion bei diesem Projekt von Bedeutung. Als er weggefahren ist, hat er Bibel und Koran mitgenommen. Dann hat ihm Peter Kubelka noch gesagt: „Ohne Gilgamesch geht es nicht.“ Er war also mit drei großen Standardwerken unterwegs. Wie viel Religion für ihn bedeutet hat, weiß ich nicht. Aber schon bei „Whores’ Glory“ war zu sehen: Jemand, der so viel in der Welt ist, setzt sich zwangsläufig mit dem Stellenwert der Religion für den Menschen auseinander.

Werden Sie nun bald selbst Regie in einem Film führen?

Es gibt eine Geschichte, die ich gern erzählen würde. Ob ich es schaffe, das weiße Blatt zu überwinden und das, was im Kopf fertig ist, niederzuschreiben, wird sich zeigen. Grundsätzlich bin ich mit Leib und Seele Editorin. Ich weiß seit diesem Film, was es bedeutet, wenn man etwas machen muss. „Untitled“ musste ich machen.

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1 Kommentar

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  • Die korrekte Berufsbezeichnung ist Filmeditor, nicht Cutter. Könnten Sie das bitte korrigieren. Siehe hierzu das von der TAZ geführte Interview mit Magdolna Rokob und auch die eigens von Monika Willi genannte Bezeichnung. Vielen Dank.