Curling-EM in Finnland: Hochgeschrubbt
Deutschlands Männer gewinnen die Europameisterschaft. Mit 9:7 siegen sie über die favorisierten Schotten. Ein Erfolg der Professionalisierung.
So denkt man in Kreisen schottischer Curling-Experten: „Der deutsche Sieg war historisch und bedeutete den Aufstieg in der Hierarchie des Curling.“ Die Gratulation von Scottish Curling an das deutsche Team, das am Samstag im finnischen Lohja Europameister wurde, hat Gewicht. Schließlich steht Schottland nicht nur ganz weit oben in dieser Hierarchie, sondern seine Männerauswahl war auch als Favorit ins Finale gegangen, um dann zu verlieren. Das deutsche Team, dem der Coup gelang, wird von Skip Marc Muskatewitz angeführt, dazu gehörten im Finale noch Benjamin Kapp (beide Füssen), Felix Messenzehl und Johannes Scheuerl (beide Oberstdorf).
In zehn Ends, also zehn Durchgängen, wird ein großes Turnier gespielt, und im Finale erwies sich das siebte End als das spielentscheidende. Da gelang Deutschland ein Steal, es konnte also einen Punkt machen, quasi „stehlen“, obwohl es nicht den letzten Stein gespielt hatte. Plötzlich stand es 7:6 für Deutschland. Und das schottische Team um Skip Bruce Mouat, immerhin dreimal in Folge vorher Europameister, war unter Druck.
Im zehnten und letzten End hatte Deutschland wieder den letzten Stein, den Marc Muskatewitz führte. „Es war ein Standardstein, den man als Team gemeinsam löst“, erklärte er später im Deutschlandfunk. „Ich hatte die Verantwortung, nachdem ich den Stein losgelassen hatte, meinem Team übergeben – und konnte mir relativ entspannt den letzten Stein ansehen.“
Muskatewitz ist mit seinen 28 Jahren der Routinier. „Wir haben eine sehr gute Mannschaft aus Junioren zusammen“, sagt er. Kapp, Messenzehl und Scheuerl waren 2022 und 2023 zusammen Junioren-Vizeweltmeister. Und auch dieser Erfolg ist kein Zufall. Außer Muskatewitz sind alle bei der Bundeswehr unter Vertrag, als Sportsoldaten. Das ist mittlerweile oft die Voraussetzung, um in der Weltspitze mitzumischen. Fürs Curling heißt das: mehr Professionalisierung, wesentlich höhere Trainingsumfänge, und die Spitzenleute spielen „bis zu 15 große Meisterschaften pro Saison“, wie Muskatewitz ausführt.
Auch Deutschlands Curlerinnen holen auf
So viel konzentriertes Training in einem Sport, der früher – zumindest in Deutschland – als Feierabendspaß galt, hat Folgen: Muskatewitz hatte eine 88-Prozent-Schussquote gegenüber seinem schottischen Kontrahenten Mouat (71 Prozent). Benjamin Knapp kam sogar auf 90 Prozent. Das drückt statistisch den Fortschritt aus, der in den vergangenen 20 Jahren erarbeitet wurde. Vor 20 Jahren war Deutschland zuletzt Curling-Europameister geworden, danach machten andere Nationen wie Schottland, Italien oder die Schweiz das, was Deutschland erst mit Verspätung begann: Professionalisierung. Die deutschen Curler waren 2014 zuletzt bei Olympia dabei, danach wurde das Ticket stets verpasst.
Noch nicht ganz so weit, aber auf einem ähnlichen Weg sind die deutschen Curlerinnen. Zu dieser EM verpassten sie die Qualifikation – Europameisterinnen wurden die Schweizerinnen vor den Schwedinnen –, aber erst jüngst arbeitete sich das deutsche Team aus der Euro-B- in die A-Gruppe und wird 2025 entsprechend bei besseren Turnieren spielen.
Dass die Curling-Hierarchie nach dieser EM allerdings umgekrempelt wäre, lässt sich nicht behaupten. Das deutsche Männerteam ist jetzt für die WM 2025 in Moose Jaw (Kanada) qualifiziert, und wenn es dort auf einem 9. oder 10. Platz kommt, wäre es wohl für die Olympischen Winterspiele in in Mailand und Cortina d’Ampezzo qualifiziert.
Als Favorit reisen Muskatewitz und sein Team nicht dorthin. Dass Schottland immer noch „das weltbeste Team“ stellt, davon ist er auch nach dem EM-Erfolg überzeugt. „Nicht zu hoch verlieren“, mit diesem Ziel war er ins Finale gegangen, und erst in dessen Verlauf hat er geahnt, dass es ein großer Triumph werden kann.
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