„Cumhuriyet“-Prozess vertagt: Raus aus dem Saal
Mit dem Ausschluß des Angeklagten Ahmet Şık ging der Prozess in seine fünfte Anhörung. Anwälte wiederholen den Vorwurf politischer Justiz.
Als Begründung hieß es, wenn Ahmet Şık in Reden den Präsidenten und die regierende AKP kritisieren wolle, solle er sich ins Parlament wählen lassen. In seinem Prozess sei jedenfalls kein Platz dafür.
Şık hatte in seiner Verteidigungsrede den Zustand des Rechtsstaates in der Türkei beklagt und die Vorwürfe scharf zurückgewiesen, er unterstütze oder sei gar Mitglied der kurdischen „Terrororganisation PKK“ sowie der „Terrororganisation FETÖ“, der islamischen Gülen-Sekte, der vorgeworfen wird, den Putschversuch vom 15. Juli 2016 initiiert zu haben.
Ahmet Şık ist einer von 17 Angeklagten der linksliberalen Tageszeitung Cumhuriyet, denen Propaganda oder Unterstützung von Terrororganisationen vorgeworfen wird. Während 13 der Angeklagten im Laufe des Prozesses nach und nach aus der U-Haft entlassen wurden, sitzen Şık und drei weitere Angeklagte, darunter der Cumhuriyet-Chefredakteur Murat Sabuncu, weiterhin in Haft.
Tumult im Gerichtssaal
Der Prozesstag fand ausgerechnet an Weihnachten vor dem Istanbuler Hauptgericht in Çağlayan statt. Auf dem Parkplatz vor dem Gerichtsgebäude, der angesichts der vielen Verfahren gegen Oppositionelle bereits so etwas wie der Hauptprotestplatz der Republik geworden ist, hatten sich wieder zahlreiche Unterstützer und Freunde von Cumhuriyet eingefunden. Trotz anhaltender Repression und dem nach wie vor andauernden Ausnahmezustand im Land, lassen sich weder die Redaktion noch die Unterstützer der Zeitung davon abhalten, bei jedem Verhandlungstag ihre Solidarität mit den Angeklagten zu erklären. Jeden Tag bildet Cumhuriyet die Angeklagten auf der Titelseite ab und zählt auf, seit wie vielen Tagen sie bereits in Haft sind.
Als der Richter Ahmet Şık vom Verfahren ausschloss, entstand ein Tumult im Gerichtssaal. Zahlreiche anwesende Freunde und Unterstützer der Angeklagten protestierten lautstark, der Richter drohte daraufhin, die Öffentlichkeit ebenfalls vom Prozess auszuschließen. Chefredakteur Murat Sabuncu, der seit über einem Jahr darauf wartet, endlich zu seiner Verteidigung vor Gericht sprechen zu können, sagte nach dem Rauswurf von Ahmet Şık, er werde an diesem Verhandlungstag aus Protest nicht mehr Stellung nehmen.
Der Prozess gegen die Journalisten und Herausgeber von Cumhuriyet ist der wichtigste Presseprozess in der Türkei. Die renommierte Cumhuriyet, die älteste Tageszeitung der Türkei, steht in dem Verfahren stellvertretend für alle anderen regierungskritischen Journalisten vor Gericht.
Neben diesem Hauptverfahren gibt es einen weiteren Prozess, in dem der frühere Chefredakteur Can Dündar (der heute in Deutschland lebt), der Ankara-Korrespondent Erdem Gül und der Abgeordnete und stellvertretende CHP-Parteivorsitzende Enis Berberoğlu angeklagt sind. Es geht um angeblichen Geheimnisverrat, weil Dündar und Gül in der Cumhuriyet im Juni 2015 einen Artikel mit Fotos von geheimen Waffenlieferungen der Türkei an islamistische Gruppen in Syrien veröffentlicht hatten.
Für die Cumhuriyet werden die laufenden Gerichtsverfahren mehr und mehr zu einer Existenzbedrohung – zusätzlich noch zu der Möglichkeit, dass die Zeitung durch die Regierung geschlossen werden könnte. Die Erlöse aus dem Verkauf der Zeitung reichen nicht, um alle laufenden Kosten und die Gerichtskosten zu decken und Anzeigen gibt es praktisch nicht mehr, weil Anzeigenkunden Angst haben in der Cumhuriyet zu inserieren. Trotzdem hält das Blatt unbeirrt an seiner Kritik der AKP-Regierung fest.
Nach dem Ausschluss aus dem Prozess besteht für Ahmet Şık kaum noch Hoffnung, vor Ende des Verfahrens aus der U-Haft entlassen zu werden. Das gleiche gilt für Mehmet Sabuncu. Beide dürfen außer von ihren Anwälten nur von ihren engsten Angehörigen Besuch erhalten. Der Prozess wird am 9. März 2018 fortgesetzt.
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