Coronavirus in China: Mit Massentests gegen Omikron
Kurz vor den Olympischen Spielen breitet sich die neue Virusvariante in China aus. Das könnte die pandemische Lage im Land verschärfen.
Wie sich Omikron in China weiter ausbreitet, ist auch für die olympischen Winterspiele relevant. Diese sollen vom 4. bis 20. Februar in Peking in einer „geschlossenen Blase“ stattfinden. Die Teilnehmer und das Personal sollen dabei keinerlei Kontakt zur lokalen Bevölkerung haben. Aufgrund des strengen Coronasicherheitskonzepts hält der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, eine Absage jedoch für ausgeschlossen.
Für China ist dies trotzdem das denkbar schlimmste Szenario. International führende Virologen haben bereits vor Tagen davor gewarnt, dass die hochinfektiöse Virusmutation die Karten neu mischen wird. Kurz vor Weihnachten hatte auch der deutsche Virologe Christian Drosten China als seine „größte Sorge“ bezeichnet, auch mit Blick auf die Weltwirtschaft. Denn wie Drosten glauben die meisten internationalen Wissenschaftler, dass angesichts der hochinfektiösen Mutation eine Null-Covid-Politik zum Scheitern verurteilt ist. Trotz strikter Quarantäne- und Lockdown-Regimes ließe sich die Verbreitung des Virus nicht mehr aufhalten.
Erschwerend kommt hinzu, dass die in China zugelassenen Vakzine von Sinopharm und Sinovac nach ersten Daten keinen ausreichenden Schutz gegen Omikron liefern, auch nicht mit Booster-Impfung. Das könnte auch außerhalb Chinas Folgen haben: Nach Angaben des chinesischen Außenministeriums wurden bisher etwa 2 Milliarden Impfdosen an über 120 Staaten geliefert. Vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer wie Brasilien oder Chile vertrauen auf die chinesischen Präparate.
Ein weiteres Problem, das die Lage in China mit der Verbreitung von Omikron verschärfen könnte: Aufgrund der extrem niedrigen Infektionszahlen seit Ausbruch der Pandemie ist auch die „natürliche“ Immunität weitaus geringer als in anderen Staaten. Nur etwas mehr als 100.000 Menschen haben sich innerhalb der Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen mit dem Virus infiziert. Schon in den letzten Tagen hatte sich angedeutet, dass China mit seiner radikalen, aber bisher erfolgreichen Null-Covid-Strategie an seine Grenzen gelangt.
Seit zweieinhalb Wochen ist die nordwestchinesische Metropole Xian vollständig abgeriegelt, die 13 Millionen Einwohner dürfen nur mehr zum verpflichtenden Covid-Test auf die Straße. Dabei haben die Gesundheitsbehörden seit Beginn des Ausbruchs in Xian weniger als 2.000 Infektionen registriert. Unter ihnen ist bislang auch kein einziger an dem Virus verstorben.
Dennoch griffen die Behörden durch. Und die Kollateralschäden dieser Politik haben sich selten so drastisch offenbart. Am Neujahrstag etwa verweigerten die Mitarbeiter des Gaoxin-Spitals im Südwesten der Stadt einer hochschwangeren Frau den Einlass, da ihr negativer Covid-Test vier Stunden abgelaufen war. Ehe das Resultat des neuen Virustests vorlag, erlitt die Chinesin eine Frühgeburt und das Kind starb.
Weite Teile der Welt schauen mit Befremden auf den radikalen Viruskampf der Volksrepublik, die nach wie vor ganze Städte wegen einer Handvoll Infektionen abriegelt und zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie seine Grenzen weiterhin geschlossen hält. Doch wie eine Bestandsaufnahme vor Ort zeigt, ist Chinas Sonderweg weitaus komplexer, als er in der medialen Berichterstattung oftmals porträtiert wird. Sie beruht auf einem Gesellschaftsvertrag, der im konfuzianisch geprägten China grundsätzlich starken Rückhalt in der Bevölkerung genießt: Die rigiden Opfer einer Minderheit sichern das Wohlergehen des Kollektivs.
Bislang ging dieser Deal erstaunlich gut auf: Tatsächlich hat Chinas radikale Strategie etliche Virustote verhindert. Laut offiziellen Zahlen sind bislang weniger als 6.000 Menschen an dem Virus gestorben. Selbst wenn die Dunkelziffer höher liegt, ist sie angesichts einer Gesamtbevölkerung von 1,4 Milliarden noch immer verschwindend gering. Für die absolute Mehrheit der Chinesen spielt das Infektionsrisiko seit über anderthalb Jahren keine Rolle mehr im Alltag, und dank der weitgehenden Normalität in den meisten Landesteilen konnte sich auch die Wirtschaft schneller erholen als in vielen anderen Staaten.
Frust wird offen geäußert
Ein Nutzer auf der Onlineplattform Weibo vergleicht die Situation zwischen Chinas Null-Covid-Politik und den lockeren Maßnahmen in den USA mit dem Dilemma eines selbstfahrenden Autos, dessen Software sich bei einem Unfall entscheiden muss: „Zwischen einem Toten oder hundert Toten sollte immer der niedrigere Verlust gewählt werden.“
Trotz des repressiven politischen Klimas und eines omnipräsenten Zensurapparats wird der Frust der Bevölkerung offen geäußert. „Vor was sollen wir Angst haben? Die Lage ist besonders unverständlich, weil die Sterberate des Virus mittlerweile sehr niedrig ist“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer entgegnet: „Es ist kein Coronavirus, es ist ein politisches Virus.“
Ob die aktuellen Omikron-Infektionen in Tianjin eingedämmt werden können oder tatsächlich einen Wendepunkt im chinesischen Kampf gegen das Virus darstellen, werden die nächsten Wochen zeigen. „Gott sei Dank sind die Fälle rund 30 Kilometer von meinem Zuhause entfernt“, sagt ein Bewohner von Tianjin: „Aber trotzdem stocke ich besser meine Essensvorräte auf. Der Lockdown selbst ist mittlerweile weitaus furchterregender als das Virus selbst.“
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