Coronapolitik in Brasilien: Setzt Bolsonaro ab!
Die Coronavirus wütet in Brasilien besonders schlimm. Verantwortlich dafür ist die Ignoranz des Präsidenten Bolsonaro. Es ist Zeit, ihn loszuwerden.
ber Brasilien ist eine Tragödie hereingebrochen. Kein Land wurde von der Coronakrise verschont. Aber in Brasilien sind der Lebens- und Gesundheitsschutz katastrophal. Dieses Desaster ist kein Naturereignis, sondern Ergebnis der Unfähigkeit, diese Krise zu bewältigen, ja des Unwillens anzuerkennen, dass diese Krise überhaupt existiert.
Präsident Bolsonaro bestreitet, dass es sich bei der Pandemie um eine wirkliche Bedrohung handelt. Damit setzt er sich bewusst in Widerspruch zur wissenschaftliche Lehrmeinung und missachtet radikal das Recht der Bevölkerung auf Leben und materielles Wohlergehen.
Bolsonaro brüstet sich damit, die Wirtschaft und die Einkommen der brasilianischen Bürger zu schützen, indem er auf Anti-Pandemie-Maßnahmen verzichtet. Doch das entspricht nicht den Tatsachen.
Die ökonomische Erholung erweist sich als trügerisch, weil die Pandemie auf die leichte Schulter genommen wurde. Die brasilianische Gesellschaft ist widerstandsfähig. Das haben mannigfache Krisen gezeigt, mit denen wir konfrontiert wurden. Doch diese Widerstandskraft wurde vom Präsidenten der Republik und der Exekutive untergraben.
Das Resultat: In Brasilien gibt es bereits mehr als 460.000 Tote. Die durchschnittliche tägliche Todesrate lag schon bei über 3.000. Vielleicht werden bald eine halbe Million Menschen der Pandemie zum Opfer gefallen sein. Laut einer Studie des Lowy Institute (einem australischen Institut mit konservativem Profil) hat Bolsonaro in der Pandemie spektakulär versagt. Das Lowy Institute hat die öffentlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in 98 Ländern untersucht. Brasilien liegt auf dem letzten Platz.
Diese Einschätzung wird auch von der seriösen internationalen Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ geteilt. Auch Untersuchungen, die in der renommierten Zeitschrift Science veröffentlicht wurden, bestätigen diesen Befund.
Neigung zum Autoritären
In Brasilien ist es zu einer massiven Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gekommen. Deren elementare Prinzipien, das Recht auf Leben und Gesundheit, sind auch ein fundamentales Element unserer Verfassung. Präsident Bolsonaro und viele in seiner Regierung neigen deutlich zum Autoritarismus – und zur Geringschätzung der Demokratie und der politischen, bürgerlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte.
Bolsonaro hat versucht, die Maßnahmen der bundesstaatlichen und kommunalen Regierungen gegen die Pandemie einzuschränken. Er hat ohne jede sachliche Begründung versucht, den Ausnahmezustand einzuführen. Das hätte die Rechte des Nationalkongresses eingeschränkt und dem Präsidenten die Möglichkeit eröffnet, verschiedene autoritäre Maßnahmen durchzusetzen.
Er hat den Obersten Gerichtshof beleidigt und jene bedroht, die mit seinem Krisenmanagement nicht einverstanden sind. Untersuchungen, die Conectas Brasil, eine NGO für Menschenrechte, in Zusammenarbeit mit der Fakultät für öffentliche Gesundheit an der Universität São Paulo erstellt haben, zeigen, dass die Regierung Bolsonaro faktisch eine Politik betreibt, die hilft, Covid-19 zu verbreiten.
Der Zoff mit China
Als wäre das alles nicht schon schlimm genug – nun ist Brasilien auch noch in einen absurden Konflikt mit China geraten. Bolsonaro hatte China monatelang beschimpft und jede Form von Impfung für überflüssig erklärt. Besonders bizarr waren seine Ausfälle gegen das Serum aus China, das mit seinem „Comunavirus“, dem „kommunistischen Virus“, für die Pandemie verantwortlich wäre.
Der chinesische Lieferant von Impfstoff verzögerte im Februar die Lieferung nach Brasilien. Das war ein Dämpfer für die beiden wichtigen wissenschaftliche Einrichtungen in Brasilien – die Oswaldo-Cruz-Stiftung und das Butantan-Institut –, die versuchen, schnell viel Impfstoff herzustellen.
Angesichts dieses totalen Versagens müssen nun die politischen und strafrechtlichen Verantwortungen geklärt werden. Die Katastrophe hätte nie dieses Ausmaß erreichen dürfen. Die meisten Coronatodesfälle seit März 2020 hätten vermieden werden können.
Ich habe mit anderen AutorInnen einen Bericht verfasst, der die brasilianische Tragödie detailliert beschreibt und der auf der Website des Lateinamerikanischen Rates für Sozialwissenschaften in englischer Sprache zu finden ist. Weil die brasilianische Regierung die Menschen- und Verfassungsrechte der Brasilianer systematisch missachtet hat, sehen brasilianische Juristen Bolsonaro nun auch in rechtlicher Verantwortung. Denn er hat seine Amtspflicht grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich verletzt.
Das Impeachment beginnt
In den letzten Wochen wurde ein Ermittlungsausschuss (CPI da COVID) im brasilianischen Parlament gebildet, bei dem der genannte Bericht eingereicht wurde. In den Sitzungen des Untersuchungsausschusses wird immer deutlicher, dass die brasilianische Regierung die Pandemie lange ignoriert und kleingeredet hat und daher für die Verbreitung der Pandemie und Hunderttausende von Erkrankungen und Coronatote mitverantwortlich ist.
Die Entscheidung des Ermittlungsausschusses kann die politische Grundlage eines Impeachment-Verfahrens gegen Bolsonaro werden.In letzten Umfragen sprachen sich 49 Prozent der brasilianischen Bürger dafür aus, ein Impeachment-Verfahren gegen Präsident Bolsonaro in Gang zu setzen. Ob sich diese politische Stimmung in konkreten politischen Veränderungen niederschlagen wird, hängt von der politischen Fähigkeit progressiver Akteure in dem Land ab, die kritischen Meinungen zu Bolsonaro in Proteste und Demonstrationen zu verwandeln.
Die Proteste gegen Bolsonaro am Wochenende sind da ein ermutigendes Zeichen. Die Absetzung des Präsidenten – sie ist möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung