Coronakrise in der Volksrepublik: China impft weniger als geplant
Bis zum Ende des Jahres wird die große Bevölkerung nicht durchgeimpft werden können. Doch erst dann kann die Abschottung des Landes beendet werden.
Wie die Prozedur abläuft, berichten staatliche TV-Sender seit Wochen in den Abendnachrichten – von der Registrierung bis zum Wartebereich, wo die frisch Geimpften eine halbe Stunde unter Beobachtung bleiben, falls sie allergisch reagieren.
Ursprünglich lag die Volksrepublik in der Spitzengruppe beim Impfstoffrennen. Fernab der Medienöffentlichkeit begannen die Behörden bereits im letzten Frühsommer, als Teil eines sogenannten Notfallprogramms auch außerhalb klinischer Tests die vielversprechendsten Impfstoffkandidaten an bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verabreichen, darunter medizinisches Personal.
Doch gut vier Wochen nach der Zulassung des ersten chinesischen Impfstoffs ist das Fazit durchwachsen. Wie in vielen anderen Staaten auch laufen Produktion und Verteilung schleppender als erwartet. Zwar haben die Behörden mit Stand vom Sonntag bereits knapp 24 Millionen Dosen landesweit verabreicht und zog die Geschwindigkeit ab Mitte Januar nochmals deutlich an. Doch wegen Chinas schierer Bevölkerungsgröße sind solche Zahlen keineswegs beeindruckend: Das erklärte Ziel, bis zum chinesischen Neujahrsfest Mitte Februar 50 Millionen Menschen durchzuimpfen, wird wohl deutlich verfehlt.
Peking fehlt noch ein längerfristiger Impfplan
Bislang hat die Regierung noch keinen längerfristigen Impfplan verkündet, was als Indikator für viele Unsicherheiten zu deuten ist. Noch immer werden – im Gegensatz zu Europa – grundsätzlich keine Senioren über 59 Jahren in China geimpft.
Offiziell heißt es zur Begründung, dass die Ergebnisse der klinischen Tests für die entsprechenden Altersgruppen noch veröffentlicht werden müssen. Ebenfalls gibt es widersprüchliche Angaben über die Wirksamkeit der führenden Impfstoffe aus China: In Bezug auf das Vakzin des Pekinger Unternehmens Sinovac sprechen türkische Behörden laut vorläufigen Daten von einer Effizienz von 91,2 Prozent; die Gesundheitsämter in Indonesien nur von 65 Prozent und die abschließenden Daten aus Brasilien legen nahe, dass der Impfstoff bei Patienten mit milden Verläufen gerade einmal zu 50 Prozent wirkt.
Wahrscheinlich wird Parteichef Xi Jinping erst rund um den Nationalen Volkskongress im März einen genauen Zeitplan ausgeben. Doch Wunder sind nicht zu erwarten. „Selbst wenn man von einer angezogenen Distribution in den kommenden Monaten ausgeht, wird es praktisch unmöglich sein, eine vollständige Impfung der Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen im Jahre 2021 zu erreichen“, heißt es im renommierten Newsletter der Beratungsfirma Trivium China: „China wird länger mit dem Gespenst von Covid-19 leben, als viele erwarten“.
Die Kehrseite des Erfolgs
Ein wenig ist also dran an dem Argument, das der Gesundheitsexperte Yanzhong Huang von der New Yorker Denkfabrik Council on Foreign Relations vertritt – dass nämlich Chinas Staatsführung ausgerechnet ihr epidemiologischer Erfolg zum Verhängnis werden könnte.
Denn Pekings Parteikader wählten seit jeher eine Strategie, die dem aktuell im deutschen Sprachraum diskutierten „Zero Covid“ ähnelt: Die Wachstumskurve wurde nicht abgeflacht, sondern das Virus vollständig ausradiert.
Bislang hat das dank drakonischer Lockdowns und einer disziplinierten Bevölkerung auch sehr gut geklappt. Davon zeugt das Rekordwachstum des Bruttoinlandsprodukts 2020 von 2,3 Prozent, das erst möglich gemacht wurde durch den erfolgreichen Kampf.
Doch sind die Behörden nun dazu verdammt, „die drakonischen und kostspieligen Maßnahmen gegen das Virus“ bis zum weit entfernten Ziel der Herdenimmunität beizubehalten, schreibt Huang auf Twitter.
Darunter fällt auch die massive Abschottung vom Ausland. Denn jeder Einreisende birgt die Gefahr eines eingeführten Erregers, der insbesondere seit den jüngsten Muationen potenziell die epidemiologische Arbeit von Monaten zunichtemachen kann. Die Paranoia vor Corona hat zuletzt sogar dazu geführt, dass Einreisende aus Risikogebieten nach Peking vier Wochen lang unter gesundheitlicher Beobachtung stehen müssen.
Chinas Abschottung dürfte zunächst noch zunehmen
Mittelfristig führt dies zu noch stärkerer Abschottung zwischen dem bevölkerungsreichsten Land und dem Rest der Welt. In Chinas Metropolen hört man bereits von vielen Studierenden, die ihre Pläne für Auslandssemester aufgegeben haben. Und unter Expats in Peking ist das dominierende Thema die Ungewissheit, wann man eigene Familienmitglieder wieder besuchen kann. Denn trotz strenger Quarantäne und negativer Virustests bleiben die Grenzen für Nicht-Staatsbürger auf unabsehbare Zeit dicht.
Die Erlösung kann im Grunde nur der Impfstoff bieten. Dessen Bedeutung haben auch die Staatsmedien erkannt: „China muss die globale Impfstoffentwicklung anführen“, titelte etwa die Global Times, Propagandaorgan der Kommunistischen Partei, in einem Leitartikel: „Wir müssen die höchste Impfrate erreichen und bei der Herdenimmunität auf den vorderen Reihen landen“. Nur dann könne China weiterhin ein offenes Land sein und die globale wirtschaftliche Erholung anführen.
Bis dahin muss der Staat auch die Impfskepsis der Bevölkerung überwinden. Zwar zeigt eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos, dass rekordverdächtige 80 Prozent der Chinesen sich ein Vakzin injizieren lassen würden. Doch hört man auch gegenteilige Einschätzungen: „Viele wollen sich nicht impfen lassen, weil das Risiko, sich derzeit in China anzustecken, wegen der niedrigen Infektionszahlen gering ist“, sagt eine Ärztin aus Schanghai.
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