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Corona und JakobswegNeustart im Rückwärtsgang

Die Reisewarnung zu Spanien hat die Pilgerzahlen stark reduziert. Herbergen sind geschlossen und Deutsche wagen sich bislang kaum auf den Jakobsweg.

Wanderstäbe mit Jakobsmuscheln in Santiago de Compostela Foto: Lucas Vallecillos/VWPics/imago

Es sollte ein neues Boomjahr werden. Dann kam Corona, gefolgt von Spaniens Lockdown von März bis Juni. Nun sind wieder Jakobspilger auf Achse, aber auf der berühmtesten Wallfahrtsstrecke der christlichen Welt ist vorläufig nichts mehr so wie vorher. Das untermauern allein die Statistiken vom Restart-Monat Juli, die das Pilgerbüro von Santiago de Compostela veröffentlicht hat. Demnach erhielten in der Begräbnisstadt des Apostels Jakobus 9.752 Pilger ihr Diplom. Das hört sich nach einem ermutigenden Aufbruch und zunächst einmal gar nicht schlecht an.

Vergleicht man die Zahl mit den Ankünften vergangener Jahre, ergibt sich ein erschreckendes Bild. Die Julistatistiken der Vorjahre verzeichneten im Schnitt das Fünffache der Ankünfte (2019: 53.319; 2018: 50.867; 2017: 47.470), was die Dimensionen des dramatischen Rückgangs widerspiegelt. Momentan sind mehrheitlich Spanier unterwegs. Im Juli stellten sie mit 7.859 Pilgern unangefochten die Mehrheit bei der Entgegennahme der Pilgerurkunden. Unter „ferner liefen“ rangierten 336 Deutsche, 321 Italiener, 303 Portugiesen und 161 Franzosen. Bei den Nichteuropäern trafen 43 US-Amerikaner ein, 34 Argentinier, 33 Kolumbianer. Magere Zahlen.

Die Pilgerstatistik ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn bislang zog Santiago de Compostela zusätzlich mehrere Millionen Besucher pro Jahr ins Nordwesteck der Iberischen Halbinsel. Doch Gruppenreisen und motorisierter Individualtourismus sind durch die Coronakrise ebenso weggebrochen wie Landausflügler von Kreuzfahrtschiffen. Stadtführer sind beschäftigungslos. Andenkenläden bleiben auf ihren Waren sitzen. Viele Hotels und Gasthöfe haben erst gar nicht geöffnet und steuern einer Pleitewelle entgegen.

Bei den Pilgerherbergen am Jakobsweg bietet sich ebenfalls ein düsteres Panorama. Viele öffentliche Quartiere – die von Städten, Gemeinden oder Pfarreien unterhalten werden – haben geschlossen. Und eine Herberge, wie die von ehrenamtlichen Kräften der Jakobusfreunde Paderborn betriebene Casa Paderborn in Pamplona, macht in diesem Jahr gar nicht mehr auf.

Leere Herbergen

Eigentlich war die Wiedereröffnung für Anfang September geplant, sofern „sich die Lage nicht verschlimmern würde“, so der Vorsitzende Heino von Groote. Es wurden freiwillige Herbergskräfte gesucht und gefunden, Flüge gebucht, ein Hygienekonzept erstellt. Doch dann kamen die neuesten Entwicklungen in Spanien anders als gedacht.

Sie gipfelten in einer Reisewarnung des Auswärtigen Amts, die zunächst für die Regionen Navarra und Aragonien galt, durch die die beiden wichtigsten Jakobswegstrecken von den Pyrenäen laufen; Mitte August wurde die Reisewarnung auf das gesamte spanische Festland ausgeweitet. So blieb den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als schweren Herzens die Reißleine zu ziehen.

„Eine Öffnung“, so von Groote, „wäre ohnehin eher ein symbolischer Akt gewesen: ‚Seht her, dieses Haus ist eine Pilgerherberge! Und uns gibt es auch noch!‘ Wir hätten gerne dieses Zeichen gesetzt, aber die Sorge um die Pilger und die Herbergs­kräfte ging vor. Aus dem Kontakt mit anderen Herbergsbetreibern aus Deutschland und England wissen wir aber, dass wir mit dieser Entscheidung nicht alleine sind.“

Vereinzelte Privatherbergen öffneten nach dem Lockdown als Erste, um Pilgern wieder Raum zu geben und die eigenen Finanzverluste in Grenzen zu halten.

Wirtschaftlich dürfte sich unter dem Strich keine einzige rechnen. Der Zulauf stockt. Die Kapazitäten sind durch Hy­gie­neregeln reduziert, die Übernachtungspreise aber fast allerorten gleich geblieben. Preiserhöhungen hätten ein falsches Signal gesetzt.

Dort, wo Pilger bislang den Gemeinschaftssinn pflegten, zusammen kochten und in Aufenthaltsräumen über Gott und die Welt schwatzten, halten sie sich nun auf Distanz. Oder werden durch Plexiglasscheiben automatisch auf Abstand gehalten. Überall stehen Desinfektionsmittelspender, kümmern sich die Betreiber in Zusatzschichten um die Reinigung der Toiletten und Duschen. Ein Rückschlag war im Juli die Einführung der Maskenpflicht im Freien. Es zeigte: Wenn in Spanien der Zwang herrscht, im öffentlichen Raum eine Mund-Nasen-Bedeckung anzulegen, müssen die Zustände katastrophal sein.

Die Pilger, die sich trotzdem auf den Weg trauen, folgen der gängigen Praxis, außerhalb von Städten und Orten die Maske abzulegen. Das birgt ein Risiko, denn die Polizei ist mit Bußgeldern schnell zur Hand und hat die Präsenz verstärkt. Es kommt vor, dass Pilger, die nur kurz die Maske ablegen, von Einheimischen übel beschimpft werden.

Für die Maskenpflicht im Freien hat Herbergswirt César Garralda (50) kein Verständnis, zumal Sportler wie Jogger und Radler davon entbunden sind. Garralda, der in der Altstadt von Pamplona mit seinem Bruder Iñaki die Privatherberge Casa Ibarrola führt, ereifert sich: „Pilgern ist doch Wandern, Trekking, kein Spaziergang. Der Jakobsweg ist natürlich spirituell und kulturell geprägt, aber er ist eben auch Sport.“

Herbergsbesitzern treibt die Entwick­lung Sorgenfalten auf die Stirn

Fernsehbilder belegen, dass Sicherheitskräfte im Maskenstreit schon mit Schlagstöcken auf Leute eingeprügelt haben. Das Ganze verdeutlicht den veränderten Lebensrahmen in Spanien. Es herrscht Hysterie, Angst, Verunsicherung. Stolpersteine für die internationale Pilgergemeinschaft sind auch die reduzierten Flugverbindungen bei der An- und Abreise. Aus Deutschland dürfte sich wegen der Reisewarnung des Auswärtigen Amts in naher Zukunft noch weniger bewegen. Seit Mitte August ist es zwar nicht verboten, nach Spanien zu reisen, aber die Rückkehr mit verpflichtendem Test oder Quarantäne dürfte einen gewaltigen Abschreckungseffekt haben. Deutsche Pilger werden vorerst rare Erscheinungen sein.

Hotel- und Herbergsbesitzern treibt die Entwicklung tiefe Sorgenfalten auf die Stirn. Denn die Erwartungen und Investitionen hatten nach dem Rekordjahr 2019 mit 347.578 ausgegebenen Pilgerurkunden nicht nur auf dieses Jahr, sondern auch auf 2021 abgezielt. Da der 25. Juli dann auf einen Sonntag fällt, steht ab Januar ein heiliges Jakobusjahr mit überdurchschnittlich vielen Pilgerankünften an. So war es zumindest vor Corona.

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3 Kommentare

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  • Sehr gut

    • @Sam Nistelrooij:

      Wollten Sie vielleicht sagen, dass Sie es begrüßen würden, wenn in Santiago die Gebeine Che Guevaras an die Stelle der vermeintlichen des Jakobus gelegt würden? Oder einfach dazu?

  • Nach mehreren Wochen Pilgern kommt es auch 5 Tage Quarantäne nach Rückkehr nicht an. Maskentragen, wo es allein auf weiter Flur überflüssig ist, würde ich nicht wollen.



    Als Pilger geht man eigentlich mit einer so in etwa gleichbleibenden Kohorte voran, fast wie eine fest Familie, aber man will natürlich schon auch Kontakte haben.