piwik no script img

Corona in Bosnien und HerzegowinaBeerdigungen im Akkord

In Bosnien ist die Pandemie außer Kontrolle geraten. Für zusätzlichen Unmut sorgt ein Klinikskandal, der die Menschen auf die Straße treibt.

Protest gegen das schlechte Coronamanagement der Regierung: Demonstranten in Sarajevo Foto: Kemal Softic/ap

Sarajevo taz | Drei Männer tragen gerade 12 grüne Stelen und 7 Kreuze aus dem kleinen Bestattungsinstitut gegenüber der Musikakademie im Zentrum von Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina. Sie werden in einen Minibus verladen und zu einem der zahlreichen Friedhöfe der Stadt gebracht. „Jeden Tag werden es mehr,“ sagt einer der Männer.

Bei Muslimen muss es schnell gehen, viele Tote werden schon am nächsten Tag beerdigt. Auch bei den Christen ist Eile geboten, für die Lagerung von Coronatoten ist im Institut kein Platz mehr. „Täglich“ sagt Adnan, der das Teehaus „Franz und Sophie“ gegenüber diesem Bestattungsinstitut betreibt, „stehen Dutzende Hinterbliebene an“, um die Formalitäten zu erledigen.

Die Pandemie sei außer Kontrolle geraten, warnt der Epidemiologe Jasenko Karamehić. In Bosnien und Herzegowina ist der Sieben-Tage-Mittelwert auf 1.375 gestiegen. „In Deutschland würde da der nationale Notstand ausgerufen“, grübelt Adnan, der während des Krieges nach Deutschland geflüchtet war. Am 7. April infizierten sich 1.742 Menschen – allein in Sarajevo wurden in den vergangenen Wochen von 1.800 Getesteten oftmals bis zu 700 als positiv registriert. In den vergangenen Woche starben täglich über 80 Menschen.

Zwar wurde ein Lockdown verhängt, die noch vor 14 Tagen geöffneten Cafébars und Restaurants sind jetzt geschlossen. Auf den Straßen herrscht Maskenpflicht und eine Ausgangssperre ist angeordnet. Doch die Menschen sind erbost. Am Dienstag demonstrierten Hunderte wegen fehlender Impfstoffe.

Nur Almosen

Der Ministerrat hat es versäumt, rechtzeitig genug Impfstoff zu bestellen. Aus Serbien und der Türkei kommen nur Almosen. Von der EU ist ebenfalls keine Hilfe zu erwarten. Das zerrt an den Nerven. Doch noch etwas treibt die Bos­nie­r*in­nen um und auf die Straße: Ein Skandal im Koševo-Krankenhaus, dem größten Krankenhaus der Stadt.

Im Fokus der Kritik steht die Chefin des Krankenhauses, die als arrogant geltende Sebija Izetbegović. Sie war vor einigen Jahren von ihrem Ehemann, dem Chef der muslimischen Nationalpartei SDA, auf diesen Posten gehievt worden. Als Presseberichte andeuteten, dass die 100 in China gekauften Beatmungsgeräte nicht funktionsfähig seien und Izetbegović sich weigerte, Fachleute zwecks Überprüfung ins Krankenhaus zu lassen, brach ein Sturm der Entrüstung über sie herein.

Inzwischen wurde festgestellt, dass die chinesischen Geräte vom Typ ACM-812a funktionsfähig sind. Schwerstkranke Patienten aus dem ganzen Land werden im Koševo-Krankenhaus behandelt. Oft seien diese Menschen nicht mehr zu retten, das erkläre die hohe Sterberate, sagt die bekannte unabhängige Journalistin Aida Čerkez. China habe 20.000 dieser Geräte in 40 Länder geliefert, auch nach Deutschland. Warum sollten die gelieferten Geräte kaputt sein, fragt sie.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Kann es sein, dass hier 7-Tages-Inzidenz und -Mittelwert durcheinander geraten sind oder jedenfalls nicht sauber unterschieden werden? Der zitierte Sieben-Tage-Mittelwert von 1.375 ist das Wochenmittel der täglichen Neuinfektionen, nicht zu verwechseln mit der auf 100.000 Personen bezogenen Inzidenz. Die liegt in Bosnien Herzegowina aktuell bei etwa 290 (npgeo-corona-npgeo...5949f59734244ba71). Das ist zwar (zu) viel und fast dreimal so viel wie in Deutschland, aber kaum mehr als in den Niederlanden und weniger als in Frankreich oder Schweden, wo bisher auch nicht "der Notstand ausgerufen" wurde.