piwik no script img

Corona in BelgienSchotten dicht

In Antwerpen steigen die Infektionszahlen rasant, eine Ausgangssperre wird verhängt. In anderen Landesteilen werden Maßnahmen verschärft.

Antwerpen im Mai. Inzwischen steigt die Zahl der Neuinfektionen wieder Foto: Dirk Waem/dpa

Amsterdam taz | „Bitte, kommen Sie nicht nach Antwerpen!“, lautete der dramatische Aufruf von Cathy Berx, Gouverneurin der nördlichen Provinz um die Hafenmetropole, zu Wochenbeginn. Zugleich sollen die Antwerpener sich nicht in andere Teile des Landes begeben, um den Kontakt zu Bewohnern anderer Provinzen weitestgehend einzuschränken. Zudem ruft Berx dazu auf, soziale Kontakte auf die Familie und maximal ein bis zwei Freunde zu begrenzen.

Für diese Maßnahmen gibt es allen Anlass: Die Reproduk­tionszahl in der Provinz betrage 2, sagte Berx der Zeitschrift Knack – im Landesmittel sei sie höher als 1,2. Die Lokalzeitung Gazet van Antwerpen meldete am Wochenende, die Hälfte aller Neuinfektionen entfielen auf die Provinz Antwerpen.

Antwerpen liegt damit an der Spitze eines neuen Corona- Ausbruchs in Belgien. Schon vergangene Woche warnte das föderale Gesundheitszentrum Sciensano, dass es sich bei der kontinuierlichen Zunahme der Infektionen nicht mehr um einzelne lokale Cluster handele.

„Das Virus verbreitet sich mehr und mehr unter der Bevölkerung“, sagte der Epidemiologe Boudewijn Catry dem Radiosender VRT. Die bislang praktizierte Nachverfolgung von Kontakten im Fall von Infektionen sei daher nicht länger ausreichend.

Kritische Grenze überschritten

Berichte über ein Wieder-Aufflackern des Virus in Belgien sind nicht neu. Schon seit drei Wochen steigen die Infektionszahlen an. Laut Sciensano geht es um eine tägliche Zunahme von 311 Fällen in der Woche zwischen dem 18. und 24. Juli – 69 Prozent mehr als in der Vorwoche.

In der Provinz Antwerpen, der einzigen mit insgesamt mehr als 10.000 Infektionen, betrug die Zunahme innerhalb einer Woche 567 Prozent. Während im Landesdurchschnitt 30,2 von 100.000 Bewohnern infiziert sind, zählt Antwerpen 48,5. Insgesamt ist die kritische Grenze von 20 Infektionen in 101 Kommunen überschritten.

In Antwerpen stieg die Zahl der Infektionen in einer Woche um 567 Prozent an

Am Montagabend erließ die Antwerpener Provinzregierung daher neue Maßnahmen: eine Sperrstunde zwischen 23.30 und 6 Uhr, die Gastronomie muss um 23 Uhr schließen. Eine Gesichtsmaske in der Öffentlichkeit ist Pflicht, Arbeiten von zu Hause Standard.

Sowohl individuelle Kontaktsportarten als auch Mannschaftssport für Erwachsene sind verboten, ebenso große Feste. Die Maßnahmen sollen vier Wochen gelten. Der Virologe Marc Van Ranst, glaubt, dass sie länger in Kraft bleiben.

Einkauf in 30 Minuten

Auch landesweit gelten ab dem heutigen Mittwoch strengere Maßnahmen. Gruppen- Aktivitäten sind auf zehn Personen begrenzt, die Zuschauerzahlen bei öffentlichen Events werden halbiert. Arbeiten von zu Hause wird dringend empfohlen, Einkäufe sollen nur noch alleine und in 30 Minuten erledigt werden, beschloss der Natio­nale ­Sicherheitsrat am Montag.

Wichtigster Punkt ist ein spezifisch belgisches Element der Corona­bekämpfung: die „bubble“ genannte Gruppe sozialer Kontakte pro Woche. Bislang lag diese bei 15 Kontakten pro Person. Ab Mittwoch wird sie auf 5 beschränkt – per Haushalt.

Die genauen Kriterien des Prinzips „bubble“ sorgen seit geraumer Zeit für Diskussionen. Vielfach wird Sicherheitsrat und Regierung vorgeworfen, ihre Kommunikation sei unklar oder widersprüchlich.

Dieser Unmut ist auch politisch brisant. Seit dem Sturz der Regierung Charles Michels Ende 2018 hat Belgien keine amtierende föderale Regierung. Auch nach den Wahlen im Mai 2019 scheiterte eine Koalitionsbildung. Die derzeitige Interims-Regierung von Premier Sophie Wilmès hatte das Parlament nur zur Bekämpfung der ersten Coronawelle mit Vollmachten ausgestattet – bis September.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!