Corona auf dem Land: Schutzmasken mit Schlüppergummi
Landbewohner*innen sind nicht dem gleichen Infektionsrisiko ausgesetzt wie Menschen in der Stadt. Aber auch sie fordert Corona emotional heraus.
H erzliche Grüße aus dem ländlichen Raum. Hier ist es noch ruhiger als ohnehin schon. Wir Dörfler verkriechen uns in den Häusern, grüßen auf Sichtweite über den Gartenzaun und fragen uns gegenseitig nach dem werten Befinden.
Nun, es könnte weiß Gott besser sein. Die oft ersehnte – und von den hier draußen in Betongold investierenden Berliner BauherrInnen in letzter Zeit zäh zerhämmerte – Ruhe, sie ist jetzt da. Aber sie fühlt sich nicht gut, nicht richtig an.
Natürlich könnten wir zum abendlichen Applausspenden in unsere Gärten treten, die guten HelferInnen in den Krankenhäusern, Supermärkten, Verwaltungen und Dienststellen hätten es allemal verdient. Aber unsere Grundstücke sind zu weitläufig, als dass daraus ein soziales Geräusch werden könnte. Stattdessen ruft das Käuzchen vom Waldessaum, und ich fühle mich gleich noch beklommener. Es ist also nicht ausgemacht, was besser für das Nervenkostüm ist: die urbane Enge bei gleichzeitig erhöhtem Infektionsrisiko – oder die ländliche Weitläufigkeit, in der sich das Menschlein zwar von guter Luft umweht, aber auch sehr verlassen fühlen kann.
Wenn mir gar zu bange wird, rufe ich meine Eltern an. Sie sind Mitte achtzig, meine Mutter gehört der Corona-Hochrisikogruppe an. Doch wenn ich die beiden frage, wie es ihnen geht, kommt ein sehr promptes „Gut!“. Und was soll ich sagen? Es scheint zu stimmen. Die beiden sind seit mehr als sechs Jahrzehnten beieinander, sie haben sich was zu erzählen, rascheln jeden Tag mit ihren Zeitungen.
Luthers Apfelbäumchen
Und jetzt, da der Frühling da ist, gehen sie manchmal stundenlang nicht an den Apparat, weil es im Garten so viel zu tun gibt. Lausche ich ihren Tagesberichten, denke ich an Luthers Satz vom Apfelbäumchen, das er noch heute pflanzen würde, sollte morgen die Welt untergehen. Mein 88 Jahre alter Vater hat das Gemüsebeet umgegraben; meine 83-jährige Mutter in einem komplizierten Verfahren die Aussaaterde für die Tomaten gesiebt. Tomaten – wer denkt denn jetzt an so was. Meine Eltern!
Gestern war dann ein Umschlag in der Post. Meine Mutter hat sich nach ihrer Tomaten-Session noch an die Nähmaschine gesetzt und für den Mann und mich Corona-Masken genäht. Ich fühle mich sehr behütet, als ich die Masken aus dem Umschlag fische. In drei verschieden dicken Varianten liegen sie vor mir: Lamellenfaltung, mit Zickzack-Stich versäumt und mit einem Schlüppergummi für die Ohren. Mag sein, dass die Teile nicht dem internationalen Style-Standard entsprechen.
Und mag auch sein, der Mann und ich brauchen sie gar nicht in all der guten menschenleeren Luft hier draußen. Aber das sind unsere Eltern: Die warten nicht, bis das Gesundheitsamt vor der Tür steht und Atemschutzmasken verteilt. Die nähen Masken, graben Beete um, sieben Anzuchterde. Und wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, antworten sie: „Gut!“ Mein alter Nachbar setzt gerne noch hinzu: „Wat andret könn wa uns nich leisten.“
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