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Corona-Ausgangssperre in BerlinWenn Verbote nur Appelle sind

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Der Justizsenator fordert die Streichung der Ausgangsbeschränkung. Es würde die Glaubwürdigkeit vieler anderer Maßnahmen stärken.

Sicher auch illegal gebauter Schneemann in Berlin Foto: dpa

B erlins grüner Justizsenator Dirk Behrendt hat die Aufhebung der Ausgangssperre in der Coronaverordnung gefordert. Und tatsächlich täte der Senat bei seiner Sondersitzung an diesem Mittwoch gut daran, Behrendts Vorstoß schnell zu folgen – trotz der jüngsten Beschlüsse von Kanzlerin und Ministerpräsidenten, in Hotspots die Bewegungsfreiheit deutlich einschränken zu können.

Derzeit ist es BerlinerInnen nur aus „triftigen Gründen“ erlaubt, ihre eigenen vier Wände zu verlassen. Die Liste der Ausnahmen ist aber so umfassend, dass wer will tatsächlich immer einen legalen Grund finden wird. Solange die Politik der Meinung ist, der Lockdown müsse nicht mit einer wirklich harten Ausgangssperre wie aktuell in Großbritannien kombiniert werden, so lange kann auf diese Vorschrift guten Gewissens verzichtet werden.

Zumal sie nicht nur, wie Behrendt betont, eine massive Einschränkung eines Grundrechts ist und deswegen regelmäßig auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden muss, sondern auch immer wieder für Verwirrung sorgt: So war etwa an Silvester der Verkauf von Feuerwerk verboten, das Abbrennen noch vorhandener Kontingente aber erlaubt, allerdings durfte man dafür – wie die Polizei im Vorfeld mehrfach betonte – nicht die Wohnung verlassen. Hä?!

Und man sollte sich im Fall einer Abschaffung der Ausgangssperre auch nicht vom (erwartbaren) Vorwurf aus Bayern kirre machen lassen, schon aus prinzipiellen und symbolischen Gründen dürfe man sich aktuell keine vermeintliche Lockerung erlauben und die Berliner wollten wohl nur weiter feiern. Denn wie so oft in den vergangenen zehn Monaten geht es um die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz einer Maßnahme im Kampf gegen Corona.

Wie war das mit dem Sitzverbot auf Parkbänken?

Drastische, aber letztlich wirkungslose Ideen – man erinnere sich noch an das Sitzverbot auf Parkbänken im letzten Frühjahr – oder widersprüchlich formulierte – schaden oft mehr, als sie helfen. Das sollte man auch angesichts von hohen Infektionszahlen nicht vergessen.

Schwieriger ist es da schon mit der Frage, ob jede verordnete Maßnahme auch immer polizeilich durchsetzbar sein muss. Denn ehrlich gesagt trifft das auf viele nicht zu in einer Millionenstadt (und übrigens auch nicht auf dem Dorf), angefangen vom Alkoholverbot auf der Straße bis hin zur Frage, wer sich im privaten Raum noch treffen darf.

In letzterem Fall blieb Politik und Polizei am Ende auch nicht mehr als ein eindringlicher Aufruf an die Bevölkerung, wie sich Weihnachten und Silvester gezeigt hat. Natürlich folgen nicht alle Menschen diesen Appellen. Aber sie sind deswegen trotzdem die ehrlichere Variante, und das ist eminent wichtig in einem Rechtsstaat.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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5 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Ein wesentliches Problem ist die seit Jahren herrschende Disziplinlosigkeit. Das rächt sich nun und führt u.a. zu dämlichen politischen Entscheidungen.



    In Singapur läuft es deutlich anders.



    Aber die haben wohl auch nicht so viele Spinner in der Gesellschaft.

    Gestern habe ich Interviews mit "Querdenkern" im ZDF gesehen.



    Da staunt man nicht schlecht, was für "quere" Argumente sich in den Köpfen festgesetzt haben. Mit Logik hat das nichts, aber auch gar nicht mehr zu tun!



    "Ich habe die Wahrheit in meinem Inneren" hat eine Frau behauptet und leugnet Corona.



    Das Phänomen ist weit verbreitet. Man/Frau hört nicht auf das, was Wissenschaftler sagen sondern glaubt irgendwelchen Trotteln, die es verstehen, das Maul aufzureißen.



    Nicht hören - nicht sehen - nur im eigenen Saft schmoren. Das ist psychisch krank!

  • Ersteinmal sind die 15 Kilometer ganz eindeutig gegen den exzessiven Tagestourismus gerichtet, den man zuletzt bestaunen konnte. Ansonsten haben die jetzigen Ausgangsbeschränkungen natürlich vorwiegend appellativen Charakter, es ist doch klar, dass man, wenn überhaupt, nur ganz harte Maßnahmen kontrollieren und durchsetzen könnte, und die will man eben noch vermeiden. Natürlich kann man aber, wenn man als verantwortlicher Politiker die Lage so ernst sieht, weder auf Appelle noch auf Vorgaben verzichten, die man für nötig hält. Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung ist ja immer wieder einverstanden und kooperativ und zwar obwohl auch bislang schon viele Regeln kaum wirklich durchgesetzt wurden und auch obwohl manche Regeln unsinnig oder widersprüchlich waren. Letztendlich sind die hier vorgebrachten Einwände einfach nicht stichhaltig. Es liefe ja darauf hinaus, dass man nur Regeln macht, die so weich sind, dass sie allgemein eingehalten werden, nicht aber die, die man für richtig hält. Behrendts Bedenkerei ist in einer solchen Krise, die vor allem Solidarität und Geschlossenheit erfordert, überflüssig, gar nicht konstruktiv und überdies auf FDP- Niveau.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Was kann ein Tagestourismus bei geschlossenen Skiliften, Kneipen und Hotels eigentlich anrichten? Die Leute fahren im eigenen Auto und sind dort an der frischen Luft.

      Ein Spaziergang im Stadtpark mit Anreise mit den Öffis erscheint mir da gefährlicher zu sein.

      Und: Eine Einschränkung eines Grundrechts mit lediglich "apellativem Charakter" und ohne weitere auf Tatsachen gestützte Begründung halte ich nicht für gerichtsfest.

  • Schade das Weihnachten nun vorbei ist. Die Jahresendfeierlichkeiten wurden versäumt. Man könnte jetzt aber schon mal Ostermärkte und andere Volksbelustigungen, möglichst mit subventionierten Alkoholabgaben, veranstalten um die Wohnraumproblem der Stadt in den Griff zu bekommen. Einfach mal groß denken!

  • Herr Behrendt mal wieder auf Profilierungskurs. Falsche Wortmeldung zum falschen Zeitpunkt.