Consumer Electronics Show in Las Vegas: Das nächste große Ding der NSA
Android im Auto, Technologie am Körper, Überwachung im Hirn, Minidrohnen für alles und „intelligente“ Zahnbürsten: In Las Vegas beginnt die CES.
BERLIN taz | Wird Barack Obama künftig über den Karies (im zweiten Backenzahn oben rechts) eines irakischen Al-Qaida-Kommandeurs informiert? Werden Kampfdrohnen über Somalia überflüssig, weil das Oval Office demnächst einfach die Jeeps von Al-Shabaab-Kämpfern selbst in den Abgrund steuern kann?
Die größte Veranstaltung zur digitalen Alltagstechnologie in den USA, die Elektronikmesse Consumer Electronics Show in Las Vegas, beginnt und der US-Geheimdienst NSA kann sich freuen. Wenn es nach der Technologiebranche geht, werden bald noch mehr Daten von noch mehr Geräten anfallen und auf professionelle Auswertung warten.
Nun denn: Sich per App die Garagentür öffnen lassen oder dem Auto gleich selbst die Kontrolle über den Straßenverkehr überlassen; Zahnbürsten, die direkt ans Smartphone eine Analyse senden, wie viel Belag von den Zähnen entfernt worden ist; Medikamentenschachteln, die an die abendliche Einnahme der täglichen Dosis erinnern; eine digitale Zentralstelle wie das „Mother data monitoring system“, die zuhause die Heizung reguliert und Bescheid gibt, wenn ein Familienmitglied zu wenig Wasser trinkt. Was ist NSA-kompatibel? Oder braucht, wer „Mother“ hat, gar keine NSA mehr?
So schlimm wird es schon nicht kommen. Nicht jedes Alltagsgerät, das auf der CES präsentiert wird, hat Daten zu bieten, die einen freidrehenden und überwachungswütigen Geheimdienst interessieren. Aber das hat man vor dem Jahr 2012 auch über Facebook-Profile und GPS-gestützte Metadaten gedacht.
Vernetzte Haustechnologie
Über 3.200 Aussteller und mehr als 150.000 Fachbesucher erwartet die Elektronik-Messe CES in diesem Jahr. Die Veranstalter rechnen mit rund 20.000 Neuheiten, die in Las Vegas vom 7. bis 10. Januar vorgestellt werden. Die Abkürzung CES steht für Consumer Electronics Show, die Veranstalter wollen den vollen Namen aber fallen lassen, weil es inzwischen um viel mehr als nur Unterhaltungselektronik gehe. Große IT-Unternehmen wie Apple, Microsoft oder Amazon nehmen nicht mit eigenen Ständen teil.
Vieles davon gibt es längst – vom simplen Toaster mit USB-Anschluss bis zum „intelligenten Kühlschrank“. Was fehlt, sind gemeinsame Standards, auf deren Grundlage Hausgeräte digital miteinander kommunizieren können. Genau daran arbeitet nun der Smartphone-Hersteller Samsung.
Der südkoreanische Hersteller kündigte zur CES eine eigene Plattform für vernetzte Haustechnik an. Die Technologie kommt ihren Nutzern dabei immer näher: Kleine tragbare Geräte messen Kalorienverbrauch und Schlafrhythmus und geben die Daten an Smartphones, Tablets oder stationäre Rechner weiter. „Sie werden hier viel über das Internet der Dinge hören: all die Geräte, die zwar kein Tablet, Smartphone oder Computer, aber mit dem Internet verbunden sind“, sagt Frank Gillett, Analyst beim Forschungsunternehmen Forrester.
Das kann ein „Sonnenschutzarmband“ zur Vermeidung von zu viel UV-Strahlung sein, eine digitale Einschlafhilfe oder eine Minidrohne, die zur Überwachung des Hauses genutzt wird. Nichts davon wird derzeit in größeren Mengen verkauft und es dürfte wohl auch noch einige Zeit dauern, bis solche Geräte auf dem Massenmarkt erfolgreich sein werden. Die vor Jahren als „nächstes großes Ding“ gepriesenen internetfähigen Smart-TV-Geräte will derzeit auch niemand haben.
Android im Auto
Mehr Hoffnung darf sich die Technologie-Industrie machen, wenn es um Mobilität geht. Google hat am Montag die sogenannte Open Automotive Alliance vorgestellt, zu der neben dem Netzkonzern auch der Chiphersteller Nvidia sowie die Autohersteller General Motors, Honda, Hyundai und Audi gehören.
Googles Betriebssystem Andorid soll zur Grundlage jeglicher digitalen Technologie im Auto werden. Das kann vom einfachen Vorlesen von E-Mails über eingebaute Sensoren, die gegenlenken, falls man falsch steuert, bis zum sich selbst steuernden Pkw reichen. Eine ähnliche Allianz hat Konkurrent Apple bereits im vergangenen Sommer präsentiert – hier heißen die Partner BMW, Daimler und Ferrari.
Egal ob es nun Googles automobiles Betriebssystem Android oder Apples „iOS in the Car“ ist – digitale Fahrzeugtechnologie und die dabei gewonnen Daten dürften für Geheimdienste wie die NSA besonders interessant sein.
Hoffnung auf „Wearables“
Schon länger sind die Datenbrille „Google Glass“ und Computeruhren wie „Galaxy Gear“ bekannt. Auch in diesem Bereich erwartet sich die Branche enormen Zuwachs. Der Markt für tragbare Geräte, die sogenannten „Wearables“, werde explodieren, sagt Shawn DuBravac, Chefökonom des Messeveranstalters CEA. Und das, obwohl teilweise noch nicht klar sei, wofür die Geräte gebraucht werden. „Wir schauen noch, wohin sich der Markt entwickelt, je nach den Nutzungsszenarien.“
Je mehr Daten vorhanden seien, desto bessere Vorschläge könnten bestimmte Dienste und Geräte ihren Nutzern machen, meint DuBravac. Die Online-Videothek Netflix schlägt den Kunden derzeit neue Filme auf Basis ihrer bisherigen Auswahl und des Geschmacks ähnlicher Nutzer vor. Was wäre aber, wenn Netflix auch die Daten eines Fitnessarmbands, das Wetter oder die Menschen im Raum berücksichtige?
Denn es spiele auch eine wichtige Rolle für die Filmauswahl, ob man gestresst oder entspannt sei, es draußen kalt oder warm sei, und ob man den Abend allein zu Hause verbringe oder Freunde zu Besuch habe, betont DuBravac. Geräte, die uns die sagen, was wir wollen – wollen wir das? Auch hier bleibt die Hoffnung, dass das „nächste große Ding“ wie so oft nur das „nächste große Werbeklingeling“ ist.
Bürgerrechte als Thema von gestern
Schon jetzt wissen App-Entwickler und Smartphone-Hersteller viel über ihre Nutzer. Mit dem Internet verbundene Fernseher, Thermostate oder „Wearables“ lieferten noch mehr Daten. Bedenken wischt DuBravac vom Tisch. „Wir erlauben diesen Geräten, Dinge für uns zu regeln“, sagte er der Nachrichtenagentur afp. Das sei doch praktisch. Außerdem hätten „alle Hersteller auf der CES“ den Schutz der Privatsphäre „auf dem Schirm“.
Das mag man glauben oder auch nicht. Eher nicht, wenn man DuBravacs weitere Äußerungen gegenüber der Nachrichtenagentur afp zur Kenntnis nimmt: „Ich stelle mir manchmal die Frage, ob Privatsphäre nicht eine Anomalie ist.“ In vielen Kleinstädten aus vergangenen Tagen sei es doch auch so gewesen, dass jeder über jeden Bescheid gewusst habe. „Wenn ich eine bessere Benutzbarkeit durch das Teilen meiner Daten erreichen kann, dann ist das doch ein fairer Tausch.“
Privatsphäre als Anomalie – die über Jahrhunderte mühsam erkämpften Bürgerrechte werden hier mal eben der technischen Beratung über eine TV-Serie oder einen Film geopfert. Die Zwänge des Höhlenmenschen dienen als Vorbild für den digitalen Bürger des Jahres 2014. Da freut sich die NSA. An den Mitteln und Methoden, all die neuen anfallenden Daten erfassen zu können, wird derzeit intensiv gearbeitet. (mit dpa/ap/afp)
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